Ein Entscheid des Bundesgerichts aus dem Jahr 2019 hat weitreichende Folgen: Angehörige, die sich um betagte oder kranke Familienmitglieder kümmern, dürfen dafür entlohnt werden – auch ohne eine formelle Ausbildung. Seither sind in der Schweiz zahlreiche private Spitex-Unternehmen entstanden, die sich darauf spezialisieren, pflegende Angehörige anzustellen.
Doch das Modell ist umstritten. Kritisiert werden vor allem die Qualität der Pflege, die Belastung für die Angehörigen sowie die Finanzierung. Denn die privaten Anbieter profitieren vom System: Die Krankenpflegeversicherung zahlt 52.60 Franken pro Stunde, zusätzlich kommt eine Restkostenfinanzierung durch die Gemeinden hinzu. Im Kanton Zürich beträgt diese 23 Franken für die erste Stunde und rund 30 Franken für jede weitere. So ergibt sich ein Maximalbetrag von 82 Franken pro Stunde.
Hoher Gewinn – niedriger Lohn
Die Firmen zahlen den Angehörigen jedoch nur bis zu 38 Franken pro Stunde aus. Der Rest bleibt beim Unternehmen – ein Gewinn von bis zu 44 Franken pro Stunde. Dieses Modell ruft bei den Zürcher Gemeinden zunehmend Kritik hervor.
Laut einer Datenanalyse der Gesundheitskonferenz Kanton Zürich (GeKoZH) hat sich der Marktanteil dieser Firmen an der Grundpflege zwischen 2020 und 2023 verdreifacht. Ihre Leistungen haben sich verfünffacht. In Städten wie Winterthur und Bülach liegt der Pflegeaufwand pro Kunde bis zu elfmal höher als bei klassischen Spitex-Organisationen.
Die Gemeinden sehen dadurch steigende Kosten auf sich zukommen. Der Bericht der GeKoZH kritisiert das aktuelle System scharf und warnt vor Fehlanreizen zu Lasten der Steuerzahlenden. Denn viele Ausgaben, wie Wegzeiten oder Einsatzplanung, entfallen bei der Angehörigenpflege – trotzdem wird voll abgerechnet.
Reformvorschläge
Die GeKoZH fordert daher eine Reduktion der Restkostenfinanzierung. In Kantonen wie Zug oder Aargau wurde diese bereits gesenkt. Unterstützung erhält die Forderung vom Zürcher Spitex-Verband, der Angehörigen eine Anstellung bei den lokalen Spitex-Stellen ermöglichen möchte – ohne Gemeindezuschüsse. Der Tarif der Krankenkassen reiche aus, um die Kosten zu decken.
Anders sieht das die Association Spitex privée Suisse (ASPS), die ebenfalls Angehörigenpflege anbietet. Sie verlangt klare politische Vorgaben und eine getrennte Kostenrechnung für Angehörigenpflege und klassische Spitex-Leistungen. Der Verband betont, dass auch private Anbieter zusätzliche Kosten hätten – etwa durch Pflegekurse und begleitendes Fachpersonal.
Druck auf den Kanton Zürich
Während auf nationaler Ebene ein Bericht des Bundesrats noch aussteht, wächst im Kanton Zürich der Druck auf Reformen. Stadtzürcher Gesundheitsvorsteher Andreas Hauri fordert eine klare Regelung zur Restkostenfinanzierung, um Fehlanreize zu vermeiden. Auch Winterthur drängt auf ein Mitspracherecht bei der Ausarbeitung neuer Vorgaben.
Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich anerkennt den Handlungsbedarf. Das kantonale Amt für Gesundheit analysiert derzeit die Ergebnisse des GeKoZH-Berichts und prüft mögliche Massnahmen. Ziel sei es, den Gemeinden zeitnah entgegenzukommen – auch ohne gesetzliche Änderungen.