Die Südostbahn (SOB) erprobt als erstes Bahnunternehmen der Schweiz den Einsatz eines automatisierten Fahrassistenzsystems im Regelbetrieb mit Passagieren. Der einjährige Testlauf beginnt Mitte Juni oder Anfang Juli auf der Linie S31 zwischen Biberbrugg und Arth-Goldau. Das Bundesamt für Verkehr hat den Versuch kürzlich bewilligt.
Im Unterschied zu früheren Versuchen, etwa mit ferngesteuerten Rangierloks oder nächtlichen Testfahrten, wird dieses Mal auf einem offenen Bahnnetz gefahren – mit Fahrgästen an Bord. Das Lokpersonal bleibt dabei vollständig im Führerstand, die Steuerung erfolgt jedoch teilweise durch das Assistenzsystem.
Unterstützung statt Autopilot
Das System übernimmt Aufgaben wie Beschleunigen, Bremsen oder Halten an Stationen. Dennoch liegt die Verantwortung weiterhin beim Menschen. Ziel der Automatisierung ist es, gleichmässigere Fahrten zu ermöglichen, wodurch sich laut SOB die Pünktlichkeit verbessert und der Energieverbrauch um bis zu zehn Prozent gesenkt werden kann.
Auch die Kapazität des bestehenden Streckennetzes könnte durch präzisere Fahrweise erhöht werden – ohne zusätzliche Infrastrukturkosten. Das System passt die Geschwindigkeit an die Signallage und die zulässige Streckengeschwindigkeit an, Kameras oder Radar sind im Gegensatz zu Fahrassistenzsystemen im Auto jedoch noch nicht integriert.
Kritik von Lokführergewerkschaft
Trotz dieser potenziellen Vorteile äussert die Lokführergewerkschaft VSLF Bedenken. Sie warnt davor, dass der Arbeitsalltag durch die Automatisierung eintöniger werde, was die Aufmerksamkeit der Lokführer beeinträchtigen könne. Besonders kritisch sieht die Gewerkschaft, dass trotz teilweiser Systemsteuerung die volle Verantwortung beim Personal bleibt.
Der VSLF zweifelt zudem am Nutzen des Tests. Aus Sicht der Gewerkschaft liefern gut ausgebildete Lokführer bereits jetzt überzeugende Ergebnisse in Pünktlichkeit und Energieeffizienz. Den Versuch stufen sie daher als unnötige Ausgabe öffentlicher Mittel ein.
Sicherheit und Entlastung im Fokus
Die SOB weist diese Kritik zurück. Der Einsatz des Systems solle keineswegs die Rolle des Lokpersonals schwächen, sondern vielmehr eine Entlastung in stressigen Fahrsituationen bieten – etwa auf Strecken mit häufigen Geschwindigkeitswechseln oder starken Steigungen. Laut CEO Armin Weber bleibe das Sicherheitsniveau unverändert hoch.
Monotonie soll vermieden werden, indem die Lokführer weiterhin wichtige Aufgaben übernehmen, etwa das Öffnen der Türen und die Überwachung des Fahrgastwechsels. Das Assistenzsystem wird nach jedem Halt manuell wieder aktiviert, was auf der Teststrecke alle vier bis sechs Minuten geschieht.
Test soll gesamte Branche voranbringen
Vor der Bewilligung des Versuchs forderte das Bundesamt für Verkehr von der SOB konkrete Angaben zum Zusammenspiel von Mensch, Technik und Organisation. Nach Vorlage dieser Nachweise gab die Behörde grünes Licht für die Durchführung des Tests.
Auch wenn die Fahrgäste ab Juni oder Juli zwischen Biberbrugg und Arth-Goldau nichts von der neuen Technik bemerken werden, gilt der Versuch als wichtiger Schritt in der Weiterentwicklung des Bahnverkehrs. Das System wird nicht auf jeder Fahrt aktiviert – das Lokpersonal entscheidet selbst, ob es das Assistenzsystem nutzt. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen nach Abschluss des Tests der gesamten Branche zur Verfügung gestellt werden.