Die erste schweizweit gültige Briefmarke aus dem Jahr 1850 besticht durch ihre kleinen Fehler: Das Rot ragt ein wenig aus dem Rahmen heraus, den der Wappenschild bildet; die dunklen Linien sind nicht überall gleichermassen satt.
Kein Wunder: Jede der Marken ist eine Lithographie, ein Druck mithilfe eines präparierten Steines. Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Verfahren entwickelt. Meist entstanden Plakate oder Flugblätter – aber eben auch Briefmarken.
«Charmante Ungenauigkeiten»
Urs Graf, Lithograph aus Speicher, erklärt: «Man muss dafür das Motiv seitenverkehrt mit Fettkreide auf eine poröse Steinplatte zeichnen oder malen.»
Das Fett setzt sich dort fest und schützt quasi den Untergrund, denn im nächsten Schritt trägt man Wasser auf die Oberfläche des Steins auf. Fettige Farbe, die man mit einer Walze aufträgt, wird vom Wasser abgestossen und bleibt nur an den geschützten Stellen haften.
«Wenn der Stein erstmal präpariert ist, kann er immer wieder mit Farbe eingewalzt werden. Es sind unzählige Abzüge möglich.» Allerdings: Für eine zweite Farbe braucht es einen zweiten Stein. Und der muss genau auf die halbfertigen Papierbögen aus dem ersten Druck passen – sonst gibt es die «charmanten Ungenauigkeiten».
Nur wenige zeigen das Handwerk
An der Bernaba 25, die vom 14. bis 17. Mai das Jubiläum «175 Jahre Bundesbriefmarken» feiert, wird Urs Graf bei einem Workshop demonstrieren, wie eine Lithographie entsteht. «Selbst Hand anzulegen, ist nicht ganz einfach. Man braucht viel Erfahrung.»
Über die verfügt der sechzigjährige Lithograph. Er hat die Druckwerkstatt Speicher in Ausserrhoden vor 25 Jahren von seinem Onkel übernommen. Gegründet wurde sie vom Grossvater.
Die über 200 Kilometer Strecke bis zur Bernexpo nimmt Graf gerne in Kauf, um die Besucher mit seiner Begeisterung anzustecken. «Es gibt tatsächlich kaum noch Lithographen, die das Handwerk zeigen können», sagt er.
Normalerweise nutzen Künstler seine Expertise: «Sie zeichnen, ich helfe bei der Arbeit», lacht er. Da er als zweites Standbein Kurse anbietet, ist er die Idealbesetzung für die multilaterale Ausstellung, die Briefmarkensammler und -enthusiasten aus Deutschland, Liechtenstein, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und Slowenien zusammenbringt.