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29.09.2023

Bericht aus dem Heiligen Land

Am Tempelberg in Jerusalem kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften. Bild: «Kirche in Not (ACN)»/ZO24
Am 21. September 2023 besuchte Gregor Geiger, Franziskanerpater und Professor für altes Hebräisch und semitische Sprachen, die katholische Gemeinde in Tann.

Jerusalem ist Sehnsuchtsort von Millionen von Menschen, heilige Stätte dreier Weltreligionen und politisch-religiöser Zankapfel seit Jahrtausenden. Wohl keine andere Stadt auf der Welt birgt ein solches Konfliktpotenzial. Aus der ganzen Welt pilgern die Menschen nach Jerusalem, während die lokalen Konflikte immer wieder in Israel und Palästina aufflammen.

Der Franziskanerpater und Professor für altes Hebräisch und semitische Sprachen, Gregor Geiger, lebt seit 1999 in Jerusalem und kennt die Situation vor Ort genau. Gegenwärtig reist er auf Einladung des katholischen Hilfswerks «Kirche in Not (ACI)», das vielfältige Projekte im Heiligen Land unterstützt, durch die Schweiz. Am 21. September machte er Halt in der katholischen Kirche Tann, um gemeinsam die Messe zu feiern und die Menschen in der Schweiz über die Lage im Heiligen Land zu informieren.

Die Gefahr des Extremismus

«Religion spielt in der Gesellschaft, in Israel wie in Palästina, eine viel stärkere Rolle als in den west- oder mitteleuropäischen Ländern. Die Menschen definieren ihre soziale und ethnische Identität selbstverständlich über ihre religiöse Zugehörigkeit», erzählt Pater Gregor der Zuhörerschaft, die sich in der Tanner Kapelle eingefunden hat.

Leider sei im Heiligen Land nicht von einem religiösen Miteinander, sondern lediglich von einem religiösen Nebeneinander zu sprechen und in diesem Nebeneinander schwelen die Konflikte. Im Mai 2021 sei deutlich zu sehen gewesen, dass diese Konflikte jederzeit wieder gewaltsam auflodern können. In mehreren Städten herrschten damals Bürgerkriegs-ähnliche Zustände. Religiöse Extremisten wie die islamistische Hamas und nationalreligiöse jüdische Gruppen zeigen dabei kein Interesse an einer friedlichen und gerechten Lösung des Territorialkonflikts zwischen Israelis und Palästinensern.

«Der langwierige Konflikt zwischen Juden und Muslimen habe im Land viele offene Wunden hinterlassen. Diese Wunden zu heilen, wird die Herausforderung der kommenden Jahre sein.»
Pater Gregor

Zwischen den Fronten

Die kleine christliche Gemeinde stehe in diesem Konflikt zwischen den Fronten. Sie wird in den letzten Jahren verstärkt Ziel von Angriffen durch jüdische Extremisten. Dennoch würden sie sich, wo immer es gehe, für den Frieden einsetzen. Sie unterhalten weiterhin Schulen, Krankenhäuser, pflegen inmitten der Gewalt die Pilgerstätten und versuchen, in interreligiösen Projekten die Menschen wieder zusammenzubringen.

Doch oftmals gestalte sich dies schwierig. Das Misstrauen gegenüber den anderen Religionen sitze tief. Dennoch wirken die Franziskaner seit über 800 Jahren im Heiligen Land, durch alle Höhen und Tiefen der Geschichte hindurch. Der langwierige Konflikt zwischen Juden und Muslimen habe im Land viele offene Wunden hinterlassen. Diese Wunden zu heilen, werde die Herausforderung der kommenden Jahre sein, sagt Pater Gregor.

Ein erster Schritt hierbei könnte das Projekt «Hass heilen: Spirituelle Seelsorge in Konfliktsituationen» sein, welches die Franziskaner gegenwärtig anbieten. Rund 100 Christen, Juden und Muslime aus der Region nehmen an diesem Kurs teil, um zu Experten für Konfliktlösung ausgebildet zu werden, um zum Dialog anzuregen und die Botschaft der Nächstenliebe und des Friedens in die Gesellschaft hineinzutragen.

«Die Religion wird politisch ausgenutzt und lässt sich oftmals leider auch ausnützen.»
Pater Gregor

Kaffee, Kuchen und Religionspolitik

Nach der Messe kam man zu einem angeregten Austausch über die religiösen und politischen Verhältnisse in Israel zusammen. Pfarrer Dr. César Mawanzi, der mit Pater Gregor konzelebriert hatte, und die Gemeinde, nahmen interessiert an der Diskussion teil und erfuhren von einem Insider aus erster Hand, wie die Dinge in Israel stehen.

Pater Gregor teilte mit ihnen seine Eindrücke der politischen Spannungen und Proteste, die gegenwärtig das Land erschüttern. Er erklärte das politische System Israels, die Siedlungspolitik im Westjordanland und die komplexe Gemengelage von Religion und Politik. «Die Religion wird politisch ausgenutzt und lässt sich oftmals leider auch ausnützen.» charakterisierte Pater Gregor das komplexe Verhältnis von Politik und Religion im Heiligen Land.

Das Verhältnis zwischen den vielen verschiedenen christlichen Konfessionen sei mittlerweile jedoch überraschend gut. So gebe es beispielsweise kaum interreligiöse Ehen, aber interkonfessionelle Ehen seien sehr verbreitet. Zudem besuche man rege die Gottesdienste bei den anderen Konfessionen und zuletzt hätten 13 verschiedene christliche Konfessionen gemeinsam einen Katechismus herausgegeben.

Mitten im Chaos und der Feindschaft finden sich also durchaus Beispiele der Annäherung im Heiligen Land.

Schweizer Sektion«Kirche in Not (ACN)» ist ein internationales katholisches Hilfswerk päpstlichen Rechts, das 1947 von Pater Werenfried van Straaten (Speckpater) als «Ostpriesterhilfe» gegründet wurde. Es steht mit Informationstätigkeit, Gebet und Projektarbeit für bedrängte und Not leidende Christen in rund 140 Ländern ein. Seine Projekte sind ausschliesslich privat finanziert. www.kirche-in-not.ch

Zürioberland24