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02.09.2023
03.09.2023 06:35 Uhr

Geschichten der Swissair

Fast wie über den Wolken: Von ihrem Balkon in Wipkingen aus geniesst Hannelore Beyer den Blick über die Stadt. Bild: Karin Steiner
Wer spannende Geschichten aus der Anfangszeit der Swissair hören möchte. Ihre Mutter Amalie Weber flog als Hostess auf dem ersten Flug nach London, und sie selbst war bei der Schweizer Fluggesellschaft.

Karin Steiner

Zahlreiche Fotos und zwei Bordbücher aus der Anfangszeit der Swissair hat Hannelore Beyer aufbewahrt. Sie stammen von ihrer Mutter, die teils in Wipkingen aufgewachsen war und damals unter ihrem ledigen Namen Amalie Weber als eine der ersten Swissair-Hostessen die Passagiere auf Flügen in Europa begleitete. Der Stammflugplatz war in Dübendorf. Schon  1935 nahm die Swissair London in ihr Streckennetz auf mit DC2 und DC3.

«Der Flug dauerte erheblich länger als heute», erinnert sie sich an die Erzählungen der Mutter. «Nach London war man bis zu drei Stunden unterwegs. Die Hostessen strichen vor dem Abflug noch die Sandwiches selber für die Passagiere und servierten Kaffee, Tee und ein paar alkoholische Getränke wie zum Beispiel Cognac.»

In den Flugzeugen sassen oft Leute aus besseren Gesellschaftsschichten oder Prominente, denn nicht alle konnten sich das Ticket leisten, und manche hatten auch schlicht und einfach Angst, ein Flugzeug zu besteigen. «Während der langen Flüge hatte man viel Zeit um zu plaudern», erzählt die Tochter. Im Flugzeug wurden Bordbücher herumgereicht, in welche die Passagiere in Sprachen aus aller Welt etwas hineinschrieben. Das konnten Beschreibungen des Flugs, Gedichte, Poesie oder auch einfach ein Dankeschön an das Personal sein. So zum Beispiel zeigt sie eine Seite, auf welcher der Dichter Stefan Zweig «Dankbar für wunderbare Fahrt» hineingeschrieben hatte.

In den Anfängen der Swissair war es noch üblich, dass sich Passagiere in speziellen Bordbüchern verewigten. Auch der Deutsche Schriftsteller Stefan Zweig (1881-1942) tat dies. Bild: Karin Steiner
Amalie Weber (2. von links) und ihre Kolleginnen flogen 1935 erstmals nach London. Bild: zvg

Heirat und Krieg

Zwei Jahre lang begleitete Amalie Weber die Flugpassagiere durch Europa, nach London, Amsterdam, Brüssel, Paris, Berlin und ein paar weiteren Destinationen. «Die Crew flog manchmal nicht am selben Tag nach Dübendorf zurück, sondern übernachtete am Zielort in einem Hotel.» Im Rahmen eines solchen Aufenthalts lernte Amalie Weber denn auch ihren künftigen Ehemann, einen Deutschen, kennen, heiratete und zog mit ihm nach Deutschland, wo dann nach und nach zwei Töchter zur Welt kamen. Die Karriere als Swissair-Hostess war damit beendet.

Doch in Europa tobte inzwischen der Zweite Weltkrieg, und Amalie Weber, die nun Beyer hiess, stand bald schon als junge Witwe mit zwei kleinen Töchtern da. Nach einer längeren Flucht, die eine Geschichte für sich ist, kehrte die kleine Familie nach Wipkingen zurück und fand bei den Eltern und Grosseltern Unterschlupf.

Amalie Beyer, die Geld für ihre kleine Familie verdienen musste, fand einen Bürojob bei der Swissair und arbeitete erst in Dübendorf und nach dem Umzug der Fluggesellschaft in Kloten im Transit-Bereich, wo sie mit allen in Kloten landenden ausländischen Fluggesellschaften zu tun hatte.

KV-Lehre und Auslandaufenthalt

Wie schon die Mutter machte auch die Tochter nach der 3. Sek. ein Welschlandjahr, danach drei Jahre KV-Lehre in einem Reklamebüro. «Wir machten unter anderem Werbung für Zweifel, die damals die ersten Chips zu produzieren begannen.»

Es folgte ein einjähriger Aufenthalt in England als Aupair-Mädchen, und zurück in der Schweiz bekam sie einem Bürojob im renommierten Haushaltgeschäft Sibler am Münsterhof. «Weil ich Englisch sprach, wurde ich immer wieder in den Verkaufsraum geholt, um die ausländische Kundschaft zu bedienen. So lernte ich interessante Leute aus aller Welt kennen.» Unter anderem auch ein Ehepaar aus den USA.

Als die junge Frau nach einem Jahr in der Zeitung das Angebot «99 days for 99 Dollars» las, stand ihr Entschluss fest: Sie wollte die USA bereisen. «Dank dem Job meiner Mutter konnte ich sehr günstig fliegen und konnte zum Beispiel in Washington in einem guten Hotel wohnen», erinnert sie sich. «Zwischen New York und Los Angeles habe ich viel gesehen und erlebt.»

Immer schon gehörte das Einhalten der Sicherheitsbestimmungen zu den Aufgaben der Flugbegleiterinnen und später auch Flugbegleiter. Bild: ETH Bildarchiv

Reisen durch die ganze Welt

Zurück in Zürich bekleidete sie erst verschiedene Temporär-Jobs. «Unter anderem habe ich die Fan-Post von Bill Ramsey beantwortet», erzählt sie lachend. Dann bewarb sie sich bei der Swissair als Sekretärin. Da ihr damaliger Chef die Swissair an den IATA-Konferenzen vertrat, wurde sie alternierend mit einer Kollegin jeweils für die Dauer dieser Konferenzen an die IATA «ausgeliehen». «Das waren Treffen auf der ganzen Welt, auf denen die angeschlossenen Fluggesellschaften zusammen Preise und Tarife aushandelten. Eine anspruchsvolle Arbeit, bei der man aber auch interessante Leute und Länder kennen lernte. Diese Meetings zogen sich manchmal über Wochen dahin.

Kundenbeziehungen pflegen

Zwölf Jahre lang bekleidete Hannelore Beyer diesen Job, dann wechselte sie auf die Abteilung «Kundenbeziehungen». «Auch diese Arbeit war spannend und abwechslungsreich. Alles, was auf den Flügen geschah, Reklamationen und Lob-Briefe kamen da zusammen. Teilweise waren die Reklamationen primitiv, zum Beispiel, dass die Hostessen zu alt seien. Oder es ging um beschädigte Koffer, um angeblich unhöfliches Boden-Personal an irgendeinem Airport im Ausland oder einen störenden Mit-Passagier. Jede Reklamation wurde behandelt, abgeklärt und beantwortet. Ich ging mit verschmutzter Kleidung in die Reinigung und sorgte dafür, dass defekte Koffer repariert wurden.

Nur wenn ein heissblütiger Südamerikaner unbedingt die Adresse der ‹hübschen, blonden, langbeinigen Hostess› verlangte, hielten wir uns zurück. Und wenn ein Louis Vuitton-Koffer nach einem Paris-Flug ein paar Schrammen aufwies und die Passagierin den sofort ersetzt haben wollte, klärte ich das mit dem Louis-Vuitton-Laden an der Bahnhofstrasse ab und informierte die Kundin anschliessend schonend, dass wir billige, in Asien gekaufte Fakes leider nicht ersetzen können.» 

Nun geniesst die 83-Jährige ihren Ruhestand und den Blick von ihrer Wohnung in Wipkingen aus über die Stadt. Doch mit der Swissair ist sie immer noch verbunden und schaut sich hie und da gerne die Bücher und Fotos aus alter Zeit an oder liest die Pensionierten-Zeitung.

1972 war die Swissair besonders stolz, als die Boeing 747 in Dienst gestellt wurden. Das Bild zeigt die Mitglieder eines damaligen Hostessen-Lehrgangs in Genf. Bild: zvg./ ETH-Bildarchiv 1972
Andere Zeiten, andere Moden. So wurden Flugbegleiterinnen 1986 eingekleidet. Bild: ETH Bildarchiv 1984
Karin Steiner / Goldküste24