- von Miryam Koc
«In deinem Alter hatte ich schon zwei Kinder», «in deinem Alter war ich schon Chef einer Firma», «in deinem Alter haben wir schon ein Haus gekauft»: Ich, kinder-, firmen- und hauslos, höre solche Sätze öfters – entweder von älteren Menschen oder der grossen, anonymen Masse, die eigentlich ein Konstrukt unserer eigenen Unsicherheiten verkörpert: der Gesellschaft.
Seitdem ich vor zwei Jahren zum ersten Mal auf den Begriff der «Quarterlife Crisis» gestossen bin, lässt er mich nicht mehr los. Junge Menschen, zwischen 20 und 30, beschreiben einen Zustand der Orientierungslosigkeit.
Sie wissen nicht so recht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen und hinterfragen alles: ihren Job, ihre Beziehungen, ihren Wohnort, ihre ganze Persönlichkeit.
Anders als im Teenageralter, scheint es so, als würden Entscheidungen plötzlich viel mehr wiegen. So fällt es beispielsweise einer 28-jährigen Frau, eine langjährige Partnerschaft zu beenden, deutlich schwerer als noch mit 21. Schliesslich wird man ständig daran erinnert, dass die biologische Uhr tickt. «Einfach mal Dinge reparieren, statt wegzuwerfen», sagen Leute mit grauem Haaransatz. «Folge deinem eigenen Glück, denn nur das zählt», sagt das Internet. Beide haben irgendwie recht – und genau das ist das Problem.
Zum einen sind da die Babyboomers – eine Generation, geprägt durch den wirtschaftlichen Aufschwung, die einen guten Job, den man ihrer Meinung nach nur mit viel Arbeit, Fleiss und ohne Homeoffice erreicht, ein klassisches Familienbild und genügend Geld auf dem Sparkonto, idealisiert. Lange wollte man diesen (auch den eigenen Eltern) nacheifern, bis plötzlich die Generation Z kam. Sie ist getrieben von der Lebenslust, der Maximierung von Erlebnissen und der Selbstverwirklichung als oberstes Ziel. Gen Z‘s pfeifen auf festgelegte Strukturen.
Sicheren Job behalten oder irgendwo auf Bali remote arbeiten? Familie gründen oder mal Polygamie ausprobieren? Säule 3a anlegen oder ein Studium beginnen, wofür es keine Jobs gibt, aber Spass macht?
Millennials sitzen oft zwischen den Stühlen und können vor lauter Einflüssen, nicht mehr erkennen, was sie eigentlich selbst wollen.
In meinem Umfeld nehme ich das immer häufiger wahr. Viele sind unruhig, unglücklich und ständig auf der Suche nach irgendetwas Neuem, dass ihnen endlich Sinn und Frieden gibt.
Sinnkrisen sind nicht neu, sie betreffen alle Generationen. Der grosse Unterschied ist, dass wir durch die sozialen Medien ständig abrufen können, wie ein anderes Leben, von dem wir glauben, dass es das bessere ist, aussehen könnte.
Aber wie kommt man da raus? Zunächst einmal hilft der Gedanke, dass man nicht alleine ist. Viele Menschen, von denen wir glauben, sie hätten ihr Leben absolut im Griff, machen Ähnliches durch – nur traut sich niemand darüber zu sprechen. Deshalb sollte man sein Ego beiseitelegen und den Mut haben, sich zu öffnen. Damit öffnet man auch eine Tür für andere und wirkt dem Problem, eine Scheinwelt aufrechterhalten zu müssen, entgegen, und man hat die Chance auf authentische Gespräche und Beziehungen.
Dann sollte man seine Situation akzeptieren. Was wäre das denn für ein langweiliges Leben, wenn wir immer nur Glück empfinden würden? Es braucht diese Phasen, in denen wir uns die Augen ausheulen, alles und jeden verfluchen und das Gefühl haben, dass es einfach nicht besser wird. Genau an diesen Situationen wachsen wir und sind dann wieder empfänglich für Liebe, Glück und Dankbarkeit.
Drittens: Sei vorsichtig mit deinem Konsum von News und Social Media. Nur weil wir auf alles Zugriff haben, beutetet es nicht, dass alles für uns bestimmt ist. Warum sind wir so wählerisch, was unsere Kleidung, unser Essen und unsere Beziehungen anbelangen und scheissen regelrecht drauf, welchen Content wir uns reinziehen?
Wenn du nicht davon loskommst, sei radikal und lösche dein Profil. Du wirst sehen, wie wenige Leute das wirklich interessiert und wie unwichtig deine Online-Präsenz ist.
Und das Wichtigste zuletzt: Lebe im Jetzt. Es ist alles, was du wirklich besitzt und verschwende es nicht damit, dass du dir ständig den Kopf darüber zerbrichst, wie die Zukunft aussehen mag, denn sie spielt nach Regeln, die wir nicht kennen. Konzentriere dich auf deine Stärken, vertraue auf dein Bauchgefühl und sei dankbar für die kleinen Dinge, die gar nicht so klein sind, wenn du genauer hinschaust.