Home Region Schweiz/Ausland Sport Rubriken Magazin Agenda
Magazin
16.04.2023

Transfrau: «Ich wurde angespuckt und angepöbelt»

Amanda, 35, Softwareentwicklerin. Bild: Patrice Ezeogukwu
Die 35-jährige Amanda aus der Region St.Gallen ist von Beruf Softwareentwicklerin. Geboren ist sie mit dem für sie falschen Geschlecht.

Amanda, mit welchem Alter hast du gemerkt, dass du trans bist?

In der Kindheit war ich einfach ein Kind. Dann ist aber die Pubertät gekommen. In der Schule hat es mit der Trennung der Geschlechter angefangen; also Mädchen haben Volleyball gespielt, die Jungs sind Tschutten gegangen. Und dort habe ich das erste Mal gemerkt, dass sich meine Einteilung komisch angefühlt hat.

Damals war das Internet noch nicht so verbreitet und man hatte kein Smartphone, auf dem man hätte googeln können und dementsprechend habe ich lange gar nicht gewusst, dass es noch andere Leute gibt, die so fühlen.

Erst als das Internet aufgekommen ist, habe ich auf Social-Media-Plattformen wie Reddit oder Tumblr Informationen bekommen, dass es noch mehr Trans-Leute gibt. Ich habe gemerkt, dass ich nicht alleine bin und es auch Leute gibt, die eine Transition gemacht haben, was medizinisch möglich ist; das war alles neu und eine Erleichterung.

Und dann?

Dann habe ich aber zu mir gesagt: Schön für sie, aber ich werde mich nie im Leben als trans outen; mit meinem Job, Freundeskreis und Eltern wird das nicht funktionieren. Ich habe es dann jahrelang mit Rebellion gegen das System und gegen die Eltern verdrängt.

Irgendwann ist jedoch der Moment gekommen, in welchem meine Psyche das nicht mehr mitgemacht hat. Und dann ging es bergab. Ich bin schwer suizidal geworden. Auf den letzten Drücker haben wir professionelle Hilfe eingeschaltet. Als ich dann notfallmässig zum Psychiater gegangen bin, habe ich mein Transidentität zum ersten Mal jemanden offen anvertraut. Ab diesem Moment hat meine Transition angefangen. Es war eigentlich kein freier Entscheid, sondern mehr aus der Not heraus. Aber schlussendlich hat es geholfen.

Wie fühlt es sich an, mit dem falschen Geschlecht geboren worden zu sein?

Es ist mega schwer, das zu beschreiben. Es ist wie eine Art innerliches Unwohlsein, das dich jede freie Sekunde belastet. Jede Sekunde, in der ich nicht gearbeitet oder ein umfangreiches Hobby gehabt habe, sind meine Gedanken abgeschweift: Wieso bin ich trans? Wie soll ich das machen? Ein Outing funktioniert nie.

Dann ist in der Schulzeit während der Pubertät dazugekommen, wo sich der Körper verändert. Ich habe gesehen, dass sich die anderen Mädchen zu Frauen entwickeln, aber mein Körper macht das Gegenteil.

Du hast also gedacht, dass dein Körper eigentlich auch zu einer Frau werden soll?

Ja genau, mein Körper hätte auch das machen sollen, was die anderen gemacht haben – zumindest meiner Logik nach. Das gibt so ein unendliches Ungleichgewicht in deiner Zufriedenheit. Es ist etwas, das dich jederzeit bedrückt und du wirst immer wieder daran erinnert. Ich bin dann beispielsweise auch auf meine Mitschülerinnen eifersüchtig und aggressiv geworden, wenn mich jemand als Junge angesprochen hat.

Ich sage immer, dass zwei Sachen nicht stimmen: Zum einen ist es mein Körper, der falsch ist; den kann man medizinisch ein wenig hinbiegen. Andererseits ist es das gesellschaftliche Bild, das man hat. Wenn ich in einen Laden gegangen bin und sie mich mit Herr angesprochen haben, war das mega verletzend.

Wie hat dein Umfeld reagiert, als du dich als trans geoutet hast?

Das Outing gegenüber meinen Eltern war das Schlimmste, was ich je machen musste. Sie waren so geschockt, als ob man ihnen die schlimmste Botschaft überbracht hat. Meine Mutter hat geweint, mein Vater ist ganz leise da gesessen und hat kein Wort herausgebracht. Nach dem Outing habe ich sie mal ein wenig in Ruhe gelassen und ihnen Dokumente und Bücher zum Thema mitgegeben.

Mit meinen Eltern habe ich aber ein gutes Verhältnis, sie haben mich nicht verstossen oder so. Auch in meinem Freundeskreis und Arbeitsumfeld waren die Leute zuerst geschockt, sind damit aber professionell umgegangen und haben das gut akzeptiert.

Denkst du, in einer Grossstadt wäre es einfacher gewesen?

Kann sein. Weil es mehr Leute gibt, gibt es mehr von allem; mehr Trans-Leute, eine grosse LGBT-Community.  Das wäre sicher ein Vorteil gewesen. In Wil und St.Gallen hat es damals nichts gegeben; in Zürich war die LGBT-Szene schon vorhanden.

In der Grossstadt ist es auch einfacher, in der Menschenmasse unterzugehen. Das war auch das Ziel meiner Transition: So fest in der Masse untergehen, dass man mich nicht als Trans-Person erkennt. Heute kommt es in der Schweiz grösstenteils nicht darauf an, nur in den sehr ländlichen, konservativen Gegenden könnte es etwas schwieriger sein.

Wie lief deine Geschlechtsangleichung ab?

Eine Transition startet am besten mit einem Psychologen. Man muss abklären, ob die Person wirklich trans ist oder es nur eine Phase in der Pubertät ist. Danach gibt es nicht den einen Weg. Es gibt Trans-Leute, die beispielsweise geschlechtsangleichende Operationen machen und Hormone nehmen.

Ich habe mit einer Hormonersatztherapie angefangen und weibliche Hormone eingenommen, wodurch ich eine weibliche Pubertät durchgemacht habe. Es gibt Sachen, die sich nicht mehr ändern können, wie zum Beispiel Knochengrössen. Aber so Sachen wie Hautbild oder Brustwachstum funktionieren. So eine Therapie macht man das ganze Leben lang.

Nebenbei habe ich Logopädie gemacht, damit meine Stimme höher wird. Danach habe ich mich für operative Massnahmen bereit gemacht. Dabei muss man sich sehr sicher sein, dass man das will.

Eine Transition ist wie ein Nebenjob eigentlich. Du musst zum Chirurg, zur Logopädin, zum Psychiater und zu weiteren Spezialisten. Jede Woche hast du einen Termin für eine Abklärung, bis das ganze mal aufgegleist ist. Dazu kommen auch Sachen wie eine Namensänderung.

Währenddessen habe ich an der Fachhochschule Informatik studiert, das musste ich aber abbrechen, weil mit Job, Transition und allem drum und dran habe ich es nicht gepackt.

Und bist du bis jetzt zufrieden? Oder würdest du eventuell etwas anders machen?

Das einzige, das ich anders machen würde, ist, dass ich es früher machen würde. Umso früher du eine Transition machst, desto besser ist es. Es gibt Leute, die diese mit 60 machen. Ich finde es einerseits mega schön für sie, dass sie sich outen und so leben können, wie sie es wollen. Andererseits tun sie mir auch leid, weil es mit 60 schwieriger ist.

Ich bin jetzt aber keine Freundin davon, 16-Jährige umzuoperieren oder so etwas. Es gibt Hormonblocker, die deine Pubertät verzögern. Wenn du dann 18 Jahre alt und immer noch sicher bist, dass du gerne Mann beziehungsweise Frau sein willst, dann kannst du die jeweiligen Hormone nehmen oder die Hormonblocker absetzen. Das ist meiner Meinung nach das Beste. Lieber etwas verzögern, als am Schluss die falsche Entscheidung zu treffen.

Jede Person soll sagen können, was sie sein will, da bin ich voll dafür. Aber trotzdem haben manche Jungen komische Phasen und ich glaube, manchmal muss man sie vor sich selbst schützen. Darum finde ich es wichtig, dass man fünf oder zehn Sitzungen mit einem Psychiater haben muss, dass er sich sicher sein kann, dass die Person wirklich das richtige will und nicht irgendeinen Furz von TikTok hat. Man soll es aber nicht künstlich schwerer machen.

 Trans-Personen erleben immer wieder Hass und Diskriminierung. Erlebst du das hier in der Region auch?

Online gibt es das richtig krass. Alle «Tastaturhelden», die das Gefühl haben, dass sie anonym sind, lassen ihre schwärzeste Seele raus. Am schlimmsten sind die Kommentarspalten bei Boulevardzeitungen.

In der realen Welt ist es schon so, dass man als Transfrau aufpassen muss, wo man hingeht. Ich schaue von Anfang an, mit wem ich, wo hingehe und schränke mich selber ein, weil ich sonst unsicher bin. Ich wurde in St.Gallen schon angeschrien und angespuckt. Erweiterte Gewalt habe ich bisher zum Glück nicht erlebt. Wenn ich aber die Statistik anschaue, ist es nur eine Frage der Zeit, bis das passiert.

Also meidest du gewisse Clubs?

Ja. Zum Beispiel bin ich 2022 zum ersten Mal wieder an der Olma gewesen. Da kommen halt alle Leute vom hinterletzten Hügel hervor; und die sind hackedicht. Dann läufst du da durch, einer schaut dich schräg an und haut dir eins in die Fresse. Wenn man trans ist, bist du eine grössere Zielscheibe.

Am schlimmsten ist es, wenn besoffene Typen mir nachpfeifen oder mich ansprechen, aber merken, dass ich trans bin. Dann ist ihres toxisch-männliche Ego zutiefst gekränkt und die Bereitschaft zur Gewalt riesengross. Das ist ein reales Risiko, mit dem ich leben muss.

Was denkst du, woher der Hass auf Trans-Personen kommt?

Ich weiss es auch nicht. Vielleicht eine Ablehnung des Unbekannten? Etwas Neues oder ein Trend ist es nicht; Trans-Personen gibt es eigentlich schon seit immer. Vor 30 Jahren waren Homosexuelle nicht akzeptiert, jetzt sind sie das mehr oder weniger. Nun getrauen sich Trans-Leute mehr an die Öffentlichkeit und jetzt haben wir den «ganz normalen» Hass, den man auch gegen die Homosexuellen gehabt hat.

Die Gesellschaft ist wie ein bisschen hinter dem Mond. Wenn man etwas Neues zeigt oder an den alten Ansichten rüttelt, dann tun sich die Leute immer schwer. Wenn das Trans-Thema ein bisschen weiter ist, kommen dann die nächsten Minderheiten, die das gleiche Problem haben werden. Daher finde ich es wichtig, dass man Aufklärung betreibt; damit die Leute merken: Okay, die Person ist trans und eigentlich ist sie ganz normal; sie lebt einfach ihr Leben.

Was könnten die Stadt oder der Kanton gegen den Hass unternehmen?

Das geht nur über Information. Es beginnt mit Sichtbarkeit: im Radio, im Fernsehen, in den Medien; dass man eine Normalität bekommt, dass nicht alle Menschen cis-hetero sind. Ich denke, dass es die Aufgabe des Staates ist, zu normalisieren, dass unsere Gesellschaft nicht nur aus «normalen» Menschen besteht, sondern dass es alle Formen, Farben, Gender, Identitäten gibt. Wir sind eine kunterbunte Gesellschaft. Da könnte der Staat mehr machen.

Aber wir haben es nicht schlecht in der Schweiz; ich bin gottenfroh lebe ich hier und nicht beispielsweise im Irak, wo man erschossen wird. Trotzdem ist es nicht schön, wenn man angespuckt oder angeschrien wird.

Was kannst du Trans-Personen oder Leuten mit Trans-Personen im Umfeld auf den Weg mitgeben?

Ich würde versuchen, alles ein wenig lockerer zu sehen und es auch ernst nehmen, wenn sich jemand einem anvertraut. Aber auch versuchen, professionelle Hilfe zu suchen, das richtige Pronomen und den richtigen Namen zu verwenden.

Sonst sollte man auch versuchen, nicht engstirnig zu sein; die Welt ist nicht nur schwarz und weiss. Nur weil man in einem Haushalt lebt, in dem Mami am Herd steht und Papi zehn Stunden arbeitet, heisst das nicht, dass das alle auch so machen müssen oder dass das ideal ist.

Für Trans-Leute kann ich mitgeben: Vernetzt euch, sucht Hilfe in der Community und geht an Treffs. In St.Gallen gibt es jeden zweiten Dienstag ein «Otherside Treff»; ein kleiner LGBT-Treffpunkt. Da kann man auch hingehen, wenn man sich unsicher ist und mit anderen Leuten reden will, um den Horizont zu erweitern.

Patrice Ezeogukwu/stgallen24/goldküste24