Zu diesem Kapitel der Engadiner Kulturgeschichte trugen auch Musikerinnen und Musiker aus Zürich bei.
Heute haben mehr oder weniger DJs oder die Musik von Spotify ihre Funktion übernommen. Aber etwa ab 1860 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs und darüber hinaus unterhielten im Engadin Hotel- und Kurorchester die Gäste musikalisch. Das Höhenklima, die Natur und die Hotels des Engadins zogen und ziehen zahlreiche Urlauber an. Im Engadin fanden sie eine passende Gegend für Kuraufenthalte vor, mehr noch für die Ausübung von Sportarten, für luxuriöse Erholung sowie gedankliche und ästhetische Anregung – und für eine musikalische Unterhaltung durch Höhenmusik.
Zuerst die Kurhäuser, wenig später auch weitere grössere Hotels und Kurvereine unterhielten je eigene Orchester. Sie spielten am frühen Morgen in Trinkhallen oder bei Promenaden für Mineralwassertrinkende, am Nachmittag in Konfiserien und Hotelhallen bei Kuchen und Tee und am Abend in den Hotelsälen für Tänze und Bälle. Ausserdem traten Orchester regelmässig im Freien auf, selbst im Winter bei frostigen Temperaturen: so etwa bei den Bob- und Skeletonbahnen, auf Schlitten und Schnee oder auf Eisfeldern. Wohin man auch hörte, überall waren Orchester zu vernehmen.
Zwei Kurorchester haben überlebt
Anders als sonst wo in der Schweiz führte im Engadin die technische Entwicklung und Verbreitung der akustischen Wiedergabegeräte im 20. Jahrhundert nicht zum gänzlichen Verschwinden der Kur- und Hotelorchester. So pflegen die Gemeinden von Pontresina und St. Moritz ihre Kurorchester bis heute. Und grössere Hotels engagieren noch gegenwärtig, im Zeichen von Noblesse und Klangschönheit, eigene Musikerinnen und Musiker.
Erstmals Geschichte aufgearbeitet
Der Musikeralltag war vor gut hundert Jahren überaus hart, die Vertragsmusikerinnen und -musiker teilten ihr Schlafzimmer teils mit Ratten oder durch Ritzen fallenden Schnee oder bekamen viermal täglich durchgekochte Kartoffeln vorgesetzt, wie es in einem Artikel in der «Engadiner Post» heisst. Solche und viele andere Details aus dem Alltag früherer Hotelmusiker sind in der Sonderausstellung im Museum Alpin zu erfahren.
«Höhenmusik» präsentiert erstmals und umfassend die faszinierende und traditionsreiche Geschichte der Kur- und Hotelorchester im Engadin. Anhand von Bild- und Textdokumenten zahlreicher Engadiner Archive erklärt die Ausstellung das Phänomen aus unterschiedlichen Blickwinkeln: Vorgestellt werden Entstehungsgeschichten sowie wechselnde Aufführungsorte, Besetzungen, Funktionen und Musikstile der Orchester, ferner die rauschenden Kostümbälle, das teils beschwerliche Leben und Wirken der Musiker in den Hotels, die Beziehungen zwischen den Musikern und den Gästen wie Einheimischen, die Verflechtungen von Orchestern mit den Wintersportarten oder die Vermischungen von Hotel- und Umweltklängen. Seltene Objekte, Videodokumentationen, eine Hörstation, ein spezielles Pontresina-Modell sowie anschauliche Kulissen bereichern die kurzweilig gestaltete Ausstellung. Wer sich vertieft damit auseinandersetzt, findet auch Dokumente, welche die Brücke nach Zürich schlagen. Verträge mit handschriftlichen, meist den Künstler benachteiligenden Anpassungen, schräge Korrespondenzen über unerwünschte Notenkisten und vieles mehr.