Im Frühjahr 2022 startet an der HSG ein Forschungsprojekt zur Thematik des gelingenden Cannabiskonsums. Während 21 Monaten untersucht das Forschungskollektiv «Unexplored Realities» eine Realität, die sonst im Verborgenen bleibt: Den gut in den Alltag integrierten Gebrauch von Cannabis. Die Forscher richten ihr Augenmerk auf die Konsumkompetenz und rücken damit von der immer noch weit verbreiteten Problematisierung des Cannabiskonsums ab. Das Forschungsteam hat zudem ein Konzept für einen St.Galler Cannabis-Pilotversuch erarbeitet.
Häufig konsumierte, illegale Substanz
Cannabis ist in der Schweiz die mit Abstand am häufigsten konsumierte illegale Substanz. Jede dritte Person, die älter als 15 Jahre ist, hat bereits Erfahrungen mit ihr gemacht (Marmet & Gmel 2017). Aufgrund des illegalen Status und der seit Jahrzehnten andauernden Stigmatisierung gilt der Cannabiskonsum jedoch als latent problematisch und deviant: Er findet deshalb häufig versteckt statt – in einer Art «Schattenrealität». Die Forscher haben sich zum Ziel gesetzt, diese ans Licht zu bringen. Erste Forschungsergebnisse zeigen, dass der Konsum weitaus kompetenter gestaltet wird, als bislang angenommen wurde.
Cannabis zur Entspannung
Das Forschungsprojekt «Cannabis im Alltag» richtet den Blick auf eben diese Aspekte: Auf welche unterschiedlichen Arten und Weisen gelingt es Personen, Cannabis in den Alltag zu integrieren? Was motiviert den Konsum von Cannabis? Die Interviewstudien, die im Rahmen von forschungsorientierten Seminaren durchgeführt wurden, deuten darauf hin, dass der Konsum von Cannabis gut mit typischen und weit verbreiteten Lebensentwürfen vereinbart werden kann.
Gemäss den Forschern wird Cannabis unter anderem zur Entspannung, einem «Feierabendbier» ähnlich zum Abschalten, aber auch zur gezielten Leistungssteigerung und zur Unterstützung kreativer Arbeiten benützt. Aus den Gesprächen werde deutlich, dass der Konsum vielfach gezielt auf die eigenen Bedürfnisse und die Anforderungen aus der Berufswelt, der Familie und der Partnerschaft abgestimmt werde.
Cannabisforschung in der Schweiz
Die bisherige Forschung zum Cannabiskonsum in der Schweiz blendet viele dieser gelingenden Aspekte des Konsums aus. Dies ist nicht nur auf die bisherigen Gesetzeslage zurückzuführen, sondern hängt mit den disziplinären Perspektiven zusammen, aus denen der Konsum von Cannabis hauptsächlich beforscht worden ist: Bis in die Gegenwart befassen sich vor allem Kriminologen, Suchtforscher, Mediziner und Psychologen mit ihm.
Im Vordergrund stehen nach wie vor der Präventionsgedanke und die gesundheitlichen Risiken, obschon in der Schweiz nur 20,8 Prozent der regelmässig konsumierenden Personen einen problematischen Konsum aufweisen (Znoj, Genrich & Zeller 2020).