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Schweiz
03.02.2025
03.02.2025 07:45 Uhr

Wie die Schweiz Juden rettete

Die SS präsentierte Theresienstadt als «Musterlager» und gaukelte der Weltöffentlichkeit ein «heiles» Leben vor Bild: Radio Prag
Am Donnerstag wird in St.Gallen ein neues Buch vorgestellt: «Wir machen einen grossen Schritt ins Leben» beleuchtet eine kaum bekannte Rettungsaktion, bei der vor 80 Jahren rund 1200 jüdische Häftlinge aus Theresienstadt in die Schweiz gelangten.

Das Werk, das unter der Leitung von Historiker Thomas Metzger, Professor für Geschichte an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen, entstanden ist, basiert auf Tagebüchern, Briefen und Zeitzeugenberichten. 

Neben Metzger und der Historikerin Helen Kaufmann haben sechs weitere Autoren aus der Schweiz, Tschechien und Österreich zur Aufarbeitung dieser Geschichte beigetragen.

Ein historischer Ort

Die geretteten Menschen wurden damals im Hadwig-Schulhaus in St.Gallen untergebracht – genau dort findet nun auch die Buchvernissage statt.

Nur etwa zehn Tage lang bleibt das Hadwig Schauplatz der Rettungsaktion. Hier wurden die Geretteten untersucht, desinfiziert und medizinisch behandelt, bevor es in Quarantänelager weiterging, meist in der Westschweiz.

Der Bub in der Mitte heisst Robert Narev. Er lebt heute in Neuseeland und wird sich bei der Buchvernissage live dazuschalten Bild: zVg

Auch andere St.Galler Schulhäuser wurden für solche Zwecke genutzt, etwa das Bürgli gleich neben dem Hadwig.

Metzger betont die Bedeutung dieses Projekts gegenüber dem «Tagblatt»: «Unsere Erkenntnisse fliessen in Vermittlungsprojekte ein – von einer Website über Unterrichtsmaterialien bis zu einem Erinnerungsort.»

Für Geschichtsinteressierte: Die Geschichte der von aus dem Konzentrationslager Mauthausen geretteten Menschen gibt es im Dossier «Von Mauthausen nach St.Gallen» finden Sie hier.

Theresienstadt Bild: Radio Prag

Nach der «Erledigung der Rest-Tschechei» 1939 und der Errichtung des Reichsprotektorats Böhmen und Mähren funktionierten die Nationalsozialisten Theresienstadt, einen Garnisonsstandort aus der Zeit Kaiser Josephs II., in ein Sammel- und Durchgangslager um, das zunächst tschechische, später auch deutsche Juden aufnahm. Als 1942 die Judenvernichtung begann, wurden die Opfer von hier aus in Todeslager wie Auschwitz gebracht.

Theresienstadt war ein Ort des Schreckens und zugleich ein Ort der Kultur. Jüdische Musiker, Maler und Wissenschaftler entfalteten eine enorme Produktivität, Lehrkräfte unterrichteten Kinder in Kellern und auf Dachböden. Es gab Theater- und Kabarettvorstellungen, über 50-mal wurde die Kinderoper «Brundibar» des Komponisten Hans Krása aufgeführt. So gelang es den Menschen, zumindest zeitweise die Todesangst zu verdrängen und von Normalität wenigstens zu träumen.

Die NS-Propagandamaschinerie bediente sich der Kinder und Künstler und vermarktete Theresienstadt als Muster-KZ. Tatsächlich gelang es, Repräsentanten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, die sich ein Bild von den Lebensumständen verschaffen wollten, zu täuschen.

Auch einen zynisch-perfiden Film über die «heile Welt» in Theresienstadt liess die SS drehen. Regie führte Kurt Gerron, ein deutsch-jüdischer Schauspieler, der nach Ende der Dreharbeiten 1944 in Auschwitz ermordet wurde.

StGallen24