In ihrer kurzen Anmoderation ruft Komikerin Hazel Brugger das Publikum auf, die Zurückhaltung abzulegen, «zu vergessen, dass ihr Schweizer seid». Als Angela Merkel die Bühne betritt, begrüsst sie das Publikum mit einem donnernden Applaus. Sie erwidert trocken mit einem «herzlichen Dankeschön».
Gegen Antisemitismus
Merkel liest jetzt eine Passage nach der anderen aus ihrem Buch vor, die sie mit kurzen Einleitungen unterbricht. An diesem 27. Januar, 80 Jahre nach der Befreiung des KZ Auschwitz, ändert Merkel ihren Vortrag. Sie liest als Erstes eine Passage über ihren Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. «Es schnürte mir die Kehle zu.»
Schwierige Gespräche mit Netanyahu
Sie spricht über schwierige Gespräche mit Israels Premier Benjamin Netanyahu und den Hamas-Terror vom 7. Oktober. Ihr Appell gegen Antisemitismus endet mit tosendem Applaus.
Merkel verteidigt ihre Politik in der Migrationskrise 2015 und ihren Satz «Wir schaffen das», genauso wie ihre Entscheidung 2008, sich gegen die Aufnahme der Ukraine in die Nato auszusprechen.
Integration von Migranten überforderte
Auch hat die Integration von Hunderttausenden Einwanderern Deutschland in den vergangenen Jahren mitunter überfordert. Vor allem deshalb ist die AfD erstarkt. Fehlende Investitionen in Bahn, Strassen und Digitalisierung machen sich bemerkbar. Deutschlands einst bewunderte Infrastruktur ist vielerorts ungenügend.
Standardantwort bei heiklen Fragen
Merkels Standardantwort auf solche Einwände: Man könne nicht mit dem Wissen von heute Entscheide von früher bewerten. Doch Kritik an Merkels Politik ist an diesem Abend kein Thema. Es geht um die Kanzlerin, wie sie sich sieht: eine Aussenseiterin aus dem Osten, die sich in der männerdominierten CDU an die Macht gekämpft hat. Die ein Gegenmodell ist zu selbstverliebten Alphamännern wie Donald Trump.
Abschliessend sagt Merkel, es falle ihr schwer, manchen Politikern zuzuhören, «weil sie viel sprechen, aber wenig sagen». Für Merkel trifft das nicht zu, ist die einhellige Meinung im Saal.
Das Bekenntnis von Corine Mauch
Auch Zürichs Stadtpräsidentin Corine Mauch hat sich den Vortrag in der ersten Reihe angehört. Merkels Ausführungen haben ihr gefallen, vor allem der Part, wie sich Merkel im TV-Duell gegen Schröder gewehrt hat. «Angela Merkel hat sich nie beirren lassen, war immer kritikresistent», so Mauch.
Angela Merkel war 16 Jahre im Amt, bei Corine Mauch sind es bei den nächsten Wahlen 2026 17 Jahre. Ob Zürichs Stadtpräsidentin nochmals antritt? «Man soll ein Exekutivamt so lange machen, wie man Freude hat und nicht zynisch wird», sagt sie auf eine Frage des «Tages Anzeigers». Und auf Nachfrage: «Ja, ich habe noch Freude an meinem Amt».