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13.04.2024

Zoff bei der Maurmer Post

Ein Artikel in der «Maurmer Post» führte zum Eklat. (Archivbild) Bild: Gemeinde Maur
Seit Wochen knarrt es im Gebälk der Maurmer Dorfzeitung. Ein Bericht im Zusammenhang mit dem tragischen Todesfall von Ende Februar in Maur brachte das Fass nun zum Überlaufen.

Im Februar wurde ein 71-jähriger Mann leblos auf der Treppe vor seinem Haus auf einem Hof in Maur gefunden. Die Polizei ging von einem Gewaltverbrechen aus und verhaftete kurze Zeit später einen Tatverdächtigen (Zürioberland24 berichtete). Es soll der Neffe des Opfers gewesen sein. Verschiedene Medien berichteten von einem Streit zwischen den beiden. Das Grundstück, auf dem sich die Tat ereignete, war bis kurz zuvor Gegenstand einer Erbteilung.

Gemäss zueriost.ch wohnte auf dem landwirtschaftlichen Hof der Neffe mit seiner Familie und bis vor vier Jahren auch der Onkel. Im Hauptgebäude betrieb der Onkel eine Werkstatt. Zudem gehörten dem Onkel zwei Scheunen im Baurecht.

Brisantes Interview mit Schwester vom Opfer

Doch was hat das mit der «Maurmer Post» zu tun? In der Ausgabe vom 8. März 2024 wurde ein Interview mit der Schwester des Opfers publiziert. Die Aussagen haben es in sich und werfen der Gemeinde Maur indirekt vor, dass ein von der Gemeinde getroffener Baurechtsentscheid zum Eklat des Streits zwischen Neffe und Onkel geführt habe.

Streit wegen Elektroleitung

Zwei Tage vor der traurigen Tat hätten sich die Schwester und ihre zwei Brüder nach langen Verhandlungen geeinigt. Das Grundstück samt Umland ging an den Bruder, der in Kanada wohnt. Am gleichen Tag soll der Bruder aus Kanada die Liegenschaft an seinen Sohn (den Tatverdächtigen, Anm. d. Red.) übertragen haben. Und da hat gemäss Angaben der Schwester die unglückliche Verkettung der Umstände begonnen, welche zur Tragödie geführt haben soll.

Der Onkel habe auf dem Grundstück eine Elektroleitung zu den Scheunen ziehen wollen. Nach Angaben der Schwester, sie ist Bauanwältin und ehemalige Maurmer Hochbauvorsteherin, sei die Leitung vertraglich geregelt gewesen. Das Vorhaben soll dem Neffen aber nicht gepasst haben. Er soll dem Onkel am Tag, als er das Grundstück von seinem Vater in Kanada erhalten hat, eine E-Mail geschrieben und ihm untersagt haben, die Leitung zu ziehen. Sowohl die Schwester als auch ihr Partner, ebenfalls Bauanwalt, als auch der beauftragte Bauunternehmer hätten jedoch gemeint, dass für die elektrische Hausinstallation keine Baubewilligung nötig sei.

Einen Tag später sei darum mit den Grabungsarbeiten begonnen worden. Daraufhin hätte sich der Neffe an das Maurmer Bauamt gewandt. Dieses teilte dem Neffen mit, dass ein Baustopp erlassen und eine eingeschriebene Verfügung aufgesetzt werde. Die Grabungsarbeiten gingen währenddessen weiter. Kurz vor Mittag, als Onkel und Neffe alleine auf dem Grundstück gewesen waren, soll es zu der unbegreiflichen Tat gekommen sein. Der Brief des Bauamts sei zwei Tage später eingetroffen.

Vorwürfe an das Bauamt

Die Schwester glaubt, dass eine Besichtigung vor Ort oder ein Telefonanruf die Situation hätte klären können. Einen Baustopp verfüge man nicht vom Schreibtisch aus, ohne in einer nachbarlichen Situation beide Seiten anzuhören. Im Interview in der «Maurmer Post» betont die Schwester, dass es ihr nicht um Schuldzuweisungen gehe. Sie versuche vielmehr, das schreckliche Geschehen zu begreifen. Dennoch wirft sie der Bauabteilung eine Fehleinschätzung und ein «willfähriges Vorgehen» vor, das «mutmasslich» zur Eskalation der Situation beigetragen habe.

In der Ausgabe vom 8. März 2024 wurde das Interview mit der Schwester des Getöteten publiziert. Bild: Maurmer Post

Gemeinde wusste von nichts

Die Gemeinde Maur hatte offensichtlich keine Kenntnis von dem Interview und von den happigen Vorwürfen der Schwester. Umso erstaunter sei sie gewesen, als sie die gedruckte und bereits in der Gemeinde verteilte Zeitung in die Hände bekommen hätten, sagte Gemeindeschreiber Christoph Bless gegenüber zueriost.ch.

Die Gemeinde sei für eine Stellungnahme zu den Vorwürfen nicht angefragt worden. Das entspreche nicht den Richtlinien des Schweizer Presserates, wonach ein Journalist verpflichtet ist, allen Beteiligten die Möglichkeit zu geben, sich zu äussern.

Gegendarstellung publiziert

Die Gemeinde forderte daraufhin die «Maurmer Post» auf, eine Gegendarstellung abzudrucken. In der nächsten Ausgabe vom 15. März wurde diese publiziert. Darin beschreibt der Gemeinderat das Ereignis so (gekürzt):

«Am Freitag, 23. Februar 2024 hat der Grundeigentümer Bauarbeiten auf seinem Grundstück gemeldet, die unbewilligt stattfinden. Die betroffenen Grundstücke liegen ausserhalb der Bauzonen. Dort gilt grundsätzlich ein Bauverbot. In solchen 'Nichtbauzonen' dürfen Bauten und Anlagen nur unter strengen Voraussetzungen erstellt oder geändert werden. Ausserdem befinden sich auf dem Grundstück mehrere Gebäude, welche im kommunalen Schutzinventar verzeichnet sind. Die Abteilung Hochbau und Planung musste deshalb rasch handeln und hat gemäss den gesetzlichen Vorgaben einen Baustopp verfügt, damit der Sachverhalt in Ruhe geklärt werden kann. Diese Verfügung wurde dem Grundeigentümer schriftlich zugestellt und vorgängig mündlich erläutert. Die gleiche Verfügung wurde auch dem Bauherrn schriftlich zugestellt.»

Der gesamte Prozess habe sich am besagten Freitag abgespielt. «Die Mitarbeitenden der Abteilung Hochbau und Planung haben aus Sicht des Gemeinderats umsichtig und korrekt gehandelt», schreibt der Gemeinderat weiter. Anders als im Artikel behauptet, sei ihr Handeln keinesfalls «willfährig» (Bedeutung gemäss Duden: ohne sich Gedanken zu machen, (würdelos) den Absichten anderer dienend) gewesen. Den Bau zu stoppen und die Rechtslage in einem ordentlichen Bewilligungsverfahren zu klären, sei das einzig richtige Vorgehen gewesen.

Zudem hätten die Mitarbeitenden nicht wissen können, dass das Bauprojekt offenbar im Kontext einer ernsten Familienangelegenheit gestanden habe. Auch eine Eskalation, in der letztlich ein Mensch gestorben ist, habe man nicht vorhersehen können.

«Der Gemeinderat erachtet es als Zumutung, den Mitarbeitenden der Abteilung Hochbau und Planung, aufgrund eines Baustopps, öffentlich die Mitschuld am Tod eines Ortsbürgers zu unterstellen.»

Redaktor freigestellt

Bereits in der Gegendarstellung machte der Gemeinderat klar, dass er das journalistische Vorgehen in einer ausserordentlichen Sitzung mit der Kommission der «Maurmer Post» besprechen und geeignete Massnahmen zur Qualitätssicherung einfordern werde. Die erste Massnahme liess nicht lange auf sich warten: Der für den Artikel verantwortliche Redaktor, der seit Ewigkeiten in Maur lebt und seit 2008 für die «Maurmer Post» arbeitet, wurde von der Kommission per sofort freigestellt. In ein paar Monaten wäre der Redaktor pensioniert worden.

Redaktor weist Vorwürfe zurück

Der freigestellte Redaktor sagt dazu gegenüber Zürioberland24: «Seit 15 Jahren schreibe ich für die Maurmer Post. Es hat immer Freude gemacht und das Gefühl erzeugt, dass man sich im Gespräch und in den geschriebenen Worten auf Augenhöhe getroffen und einen offenen Austausch darüber gepflegt hat. Seit ein paar Wochen ist dem aber nicht mehr so.»

Auf das Vorgehen bezüglich Artikel angesprochen, sagt er: «An der Redaktionssitzung vom 28. Februar 2024 haben wir das tragische Ereignis und die nationale Berichterstattung Revue passieren lassen. Die Redaktion kam zum Entschluss, für die Nummer vom 8. März 2024 einen Artikel darüber zu verfassen. Dies in der Überzeugung, dass nach den nationalen Medien ganz sicher auch im Lokalblatt etwas geschrieben werden musste.»

Es sei dann diskutiert worden, mit der Schwester des Opfers Kontakt aufzunehmen. «Ich willigte ein, mit ihr zu sprechen. Es hätte aber auch jemand anders von der Redaktion sein können.» Die Schwester sei sofort bereit gewesen zum Gespräch, weil sie den aufkommenden Gerüchten im Dorf etwas habe entgegensetzen wollen.

Kommission erteilte Druckfreigabe

Der Redaktor schrieb den Artikel am Freitag, 1. März. Dieser wurde von der Interviewten abgenommen. Wegen anschliessender Ferienabwesenheit habe er schriftlich beim Chefredaktor und bei der Interviewten deponiert, man möge das Bauamt noch um eine Stellungnahme anfragen. Auch er selbst habe am Freitagnachmittag noch versucht, das Bauamt zu erreichen – ohne Erfolg. Der Chefredaktor konnte nicht reagieren. Er war zu dem Zeitpunkt krankgeschrieben – wegen Mobbing am Arbeitsplatz.

Der Redaktor platzierte das besagte Interview in der Ausgabe für den 8. März und schickte das Gut zum Druck wie gewohnt an die fünfköpfige Kommission, welche vom Gemeinderat gewählt ist und welche die redaktionelle Hoheit sowie die inhaltliche Verantwortung hat. Diese gab die besagte Ausgabe mit dem Interview frei. «Die Kommission hätte einschreiten können, tat es aber nicht», so der Redaktor.

Die später von der Kommission veröffentlichte Stellungnahme in der «Maurmer Post», in der sie sich «von dem Artikel distanziert», scheint darum mehr als fragwürdig, zumal diese dem Redaktor nachträglich schriftlich mitgeteilt habe, dass sie hätten eingreifen müssen, dies «aus verschiedenen Gründen» aber nicht passiert sei und sie nun nicht gut dastehen würden.

Der Redaktor weist den Vorwurf des Gemeinderats und von der Kommission, ein schweres Vergehen gegen die Redaktionsrichtlinien begangen zu haben, darum entschieden zurück. Gleichzeitig wirft er dem Gemeinderat vor, ihn als Bauernopfer zu verleumden und seine arbeitgeberische Fürsorgepflicht nicht wahrzunehmen.

Die Gemeinde und der Redaktor kommunizieren derzeit nur noch über Anwälte miteinander.

Nicht der einzige Konflikt

Bei der «Maurmer Post» scheint der Wurm drin zu sein. Die Gemeinde wollte die Dorfzeitung eigentlich in private Hände geben, die frühere Chefredaktorin hatte gekündigt. Doch eine Privatisierung lehnte die Maurmer Stimmbevölkerung an der Gemeindeversammlung im letzten Sommer deutlich ab.

So wurde der vakante Posten der Chefredaktion zeitlich befristet an einen erfahrenen Journalisten vergeben, der in der Gemeinde wohnt und aufgewachsen ist. Ein Glückstreffer für die Lokalzeitung, alles schien perfekt. Doch obwohl sich der neue Chefredaktor innert kürzester Zeit in die Herzen der Maurmerinnen und Maurmer geschrieben hatte, teilte die Kommission dem profilierten Journalisten mit, den befristeten Vertrag mit ihm nicht zu verlängern und den Posten neu auszuschreiben. Er könne sich natürlich auf offiziellem Weg um den Posten bewerben, hiess es dazu. Dies hat der profilierte Journalist auch getan, eine Antwort steht aus.

Der Entscheid der Kommission löste eine Welle der Empörung bei der Bevölkerung aus und es wurden sogar Unterschriften für den Chefredaktor gesammelt.

Barbara Tudor