Pascal Turin
Vögel kann man am einfachsten am Wegfliegen hindern, indem man sie in einen Käfig einsperrt. So leben die farbenfrohen Allfarbloris (Papageien) im Zoo Zürich zum Beispiel in einer für die Besucherinnen und Besucher begehbaren Voliere – eben einem grossen Käfig. Doch die Chile-Flamingos haben ihr Zuhause unter freiem Himmel in einer offenen Anlage. Damit sie nicht fortfliegen können, werden ihnen darum die Flügel gestutzt. Dabei werden die Schwungfedern gekürzt, welche wieder nachwachsen.
Flügelstutzen bei Vögeln ist zwar umstritten, aber auch in anderen Zoos üblich. Gemäss einem Beitrag im «Zoo Basel Magazin» würden wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass zwischen flugfähigen und flugunfähig gemachten Zoovögeln grundsätzlich keine Unterschiede in den Stresshormon-Spiegeln beständen. «Wichtiger sind eine gute Haltung und die Vergesellschaftung in einer stabilen Gruppe», heisst es im Magazin, das vom Freundeverein Zoo Basel herausgegeben wird.
Das Flügelstutzen im Zoo Zürich passiert einmal jährlich und wird mit einem ohnehin notwendigen medizinischen Check verbunden und – wie der Zoo betont – von erfahrenen Tierpflegerinnen und Tierpflegern durchgeführt. «Dies, damit der Eingriff routiniert und ohne Komplikationen verläuft. Für die Tiere ist der Eingriff nicht schmerzhaft», erklärt PR-Managerin Birte Fröhlich.
In wenigen Jahren will der Zoo aber auf den umstrittenen Eingriff bei den Flamingos verzichten. Aktuell entsteht nämlich die neue Pantanal-Voliere. In der Anlage werden die Flügel der Flamingos künftig nicht mehr gestutzt, da das Gehege von einem riesigen Netz überspannt sein wird. Wegfliegen ist also unmöglich. «Wir erhöhen damit das Tierwohl und ermöglichen es unseren Vögeln, dass sie ihrem natürlichen Bedürfnis nach Fliegen nachkommen können», sagt Fröhlich.
Tierpfleger mussten anpacken
Für den Bau der Pantanal-Voliere mussten die Flamingos kürzlich in ein Übergangszuhause umziehen. Ein Teil der Vogelwiese wurde dafür abgegrenzt, der Wasserbereich neu gestaltet, teilweise eine Bodenheizung eingebaut, damit das Wasser im Futterbereich auch im Winter nicht zufriert, und der Stall angepasst. Die rund 60 Flamingos mussten von den Tierpflegerinnen und Tierpflegern in ihr neues Gehege getragen werden. «Es ist die effizienteste, schnellste und für die Tiere stressfreiste Transportmöglichkeit», so PR-Managerin Fröhlich.
Das Übergangszuhause auf der Vogelwiese umfasst 850 Quadratmeter. In der Pantanal-Voliere haben die Tiere dann viel mehr Platz: Dort werden die Chile-Flamingos unter anderem zusammen mit Goldgelben Löwenäffchen, Ameisenbären oder Hyazinth-Aras auf 11 000 Quadratmetern leben.
«Die neue Pantanal-Voliere wird global Standards setzen und vereint alle Hauptaufgaben eines modernen, wissenschaftlich geführten Zoos: Natur- und Artenschutz, Bildung und Forschung. Zudem wird sie das Tierwohl sowohl unserer Vögel als auch verschiedener Affenarten weiter optimieren», sagt Zoodirektor Severin Dressen auf Anfrage. Auch im Bereich Forschung würde man mit der neuen Voliere die Möglichkeit haben, umfangreiche Studien in grossen Schwärmen unter kontrollierten Bedingungen durchzuführen. Dressen: «Ganz besonders freue ich mich darauf, dass wir in der Voliere die Sumpflandschaft fluten können und so die Regenzeit simulieren werden. Ein spannender Umgebungswechsel – nicht nur für unsere Gäste, sondern ganz besonders auch für unsere Tiere.»
Das Vorbild der Pantanal-Voliere befindet sich übrigens im Regenwald in Brasilien. Die Eröffnung der neuen Anlage ist für Frühjahr 2028 geplant.