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Hombrechtikon
09.02.2024
09.02.2024 08:28 Uhr

Katholische Kirche – quo vadis?

Antonius «Toni» Gerarts ist seit zweieinhalb Jahren als Seelsorger für die Katholischen Kirchgemeinde St. Niklaus tätig. Bild: MG
In der Katholischen Kirchgemeinde St. Niklaus stehen grosse Veränderungen an. Weil die gesamte Kirchenpflege zurückgetreten ist, übernimmt ein Sachwalter die Geschäfte, Pfarrer Narcisse Elenga wird die Kirchgemeinde auf Ende der Amtszeit verlassen. Seelsorger Antonius Gerarts erklärt, welche Auswirkungen das auf seine Arbeit hat und wo er die Aufgaben der Kirche sieht.

Momentan steht die Katholische Kirche St. Niklaus ohne Kirchenpflege da. Hat das Auswirkungen auf Ihre Arbeit oder auf die KirchgängerInnen?

Toni Gerarts: Für die Pastoralarbeit hat das keine Auswirkungen, weil wir unsere Aufgaben weiterhin wahrnehmen dürfen. Das heisst konkret: Gottesdienste und Andachten finden weiter statt und auch der Religions- und der Firmunterricht gehen weiter. Als Seelsorgende tangiert es uns wenig, dass jetzt vorübergehend keine Kirchenpflege da ist. Auf Dauer ist dies jedoch keine Lösung, denn ich merke, dass sich bei Rechnungszahlungen und Freigaben von vorhandenen Mittel einiges verzögert.

Es kommt jetzt ein Sachwalter von der Landeskirche?

Ja, wir haben von der Landeskirche Peter Brunner zur Seite gestellt bekommen, der als Sachwalter seine Arbeit aufnehmen wird. Er wird alle Geschäfte der Kirchenpflege in einer Person übernehmen. Dafür zahlt die Kirchgemeinde einen gewissen Obolus. Er wird sich in den kommenden Tagen vorstellen und wir werden ihn kennen lernen. Ich hoffe, dass dann alles rasch wieder in geregelte Bahnen kommt, bis sich eine neue Kirchenpflege konstituiert hat und eine Nachfolge für Narcisse Elenga gefunden wird.

«Ich tue mein Bestes hier, damit das Schiff auf Kurs bleibt und nicht vor einen Eisberg fährt oder an einem Riff zerschellt. So weit sind wir aber noch lange nicht, auch wenn Narcisse Elenga gekündigt hat.»
Antonius Gerarts, Seelsorger Kath. Kirche St. Niklaus

Jetzt kommt das in einem Moment, wo die Katholische Kirche nicht gerade positiv in den Schlagzeilen ist. Was bedeutet das für die Katholische
Kirche St. Niklaus?

Um es mit einem Bild auszudrücken: Wir sind gemeinsam mit einem Schiff unterwegs, das momentan grossen Stürmen ausgesetzt ist. Da muss man versiert steuern können, Segel setzen und einholen, um Wind aus den Segeln zu nehmen. Ich kann nur sagen, ich tue hier mein Bestes, damit das Schiff auf Kurs bleibt und nicht vor einen Eisberg fährt oder an einem Riff zerschellt. So weit sind wir noch lange nicht, auch wenn Narcisse Elenga gekündigt hat. Für ihn war das sicher ein emotionaler Entscheid, wir sind ja schliesslich alle Menschen mit Gefühlen. Und wenn Verletzungen auf beiden Seiten stattgefunden haben, ist es auch verständlich zu sagen, jetzt ist auch mal gut.

Die Kirche vertritt christliche Werte, die gerade in der heutigen Zeit mit Krisen und Katastrophen wichtig für die Menschen sind. Was macht das für einen Eindruck, wenn schon die Kirchenvertreter sich nicht einigen können?

Hier ist zu differenzieren. Die kirchlichen Mitarbeitenden sind auch nur Menschen und sind von Auseinandersetzungen im Arbeitsverhältnis oder einer Partnerschaft genauso betroffen wie alle anderen. Das gibt es nicht nur in der Pfarrei St. Niklaus, sondern in ganz vielen anderen Pfarreien. Den theologischen Aspekt der Versöhnung, Busse und Nächstenliebe kann man auch leben, wenn man in einer Auseinandersetzung steht. Ich möchte betonen, wir sind nicht der liebe Gott. Jeder, der christliche Werte vertritt, möchte Nächstenliebe leben, doch wir haben alle auch unsere Charakterzüge und Unterschiedlichkeiten. Da kann es auch vorkommen, dass man sich besser trennt, damit das Gesamtsystem funktioniert.

«Wir sind nicht der liebe Gott. Die kirchlichen Mitarbeitenden sind auch nur Menschen und sind von Auseinandersetzungen im Arbeitsverhältnis oder einer Partnerschaft genauso betroffen wie alle anderen.»
Antonius Gerarts

Haben die Negativschlagzeilen der Katholischen Kirche auch in Hombrechtikon zu Austritten geführt?

Selbstverständlich, das ist ein offenes Geheimnis. Nach der Veröffentlichung der Studie der Universität Zürich im September 2023 hat das schweizweit zu Austritten aus den Katholischen Kirchgemeinden geführt, auch bei uns. Innerhalb von zwei Monaten sind so viele Menschen ausgetreten, wie wir dies sonst über das ganze Jahr hatten. Das sind gesamthaft um die 100 Personen. Oft sind es jüngere Menschen, die sagen, den «Laden» brauchen wir nicht mehr.

Die Katholische Kirche bezeichnet sich heute noch als die «einzig wahre» Kirche und setzt Reformen kaum um. Welche Möglichkeiten gibt es, diese Strukturen aufzubrechen?

Die Katholische Kirche mahlt tatsächlich mit sehr langsamen Mühlen. Die über Jahrhunderte entstandenen Strukturen sind nicht leicht aufzubrechen. Ein solch hierarchisch geführtes System einer Weltkirche, der 1,4 Milliarden Menschen angehören, zu verändern, ist nicht einfach. Auf den anderen Kontinenten wächst die Katholische Kirche und hat nach wie vor Zulauf. Das Ganze ist ein europäisches Problem und des deutschsprachigen Raums. Länder wie Spanien, Portugal oder Italien sind noch viel traditioneller unterwegs. Als Seelsorger kann ich nur authentisch sein, versuchen, jungen Menschen den Glauben nahezubringen und sie miteinzubeziehen, also vielleicht auch mal einen Gottesdienst so feiern, wie sie das möchten. So haben wir beispielsweise das Projekt «La Source» ins Leben gerufen, wo spirituelle, kulturelle und gemeinschaftliche Erlebnisse im Vordergrund stehen und bei den jungen Menschen sehr gut ankommt. Gerade junge Menschen schätzen die Auszeiten von dem ganzen «Social-Media-Gewusel». Kirche bietet eine Plattform des Zuhörens und Daseins, ohne therapieren oder missionieren zu wollen.

«Auf den anderen Kontinenten wächst die Katholische Kirche und hat nach wie vor Zulauf. Das Ganze ist ein europäisches Problem und des deutschsprachigen Raums.»

Die Sonntagsgottesdienste sind oft schlecht besucht. Braucht es noch jeden Sonntag einen Gottesdienst in Hombrechtikon und in Grüningen?

Ich bin überzeugt, die Rituale und Sakramentalien der Katholischen Kirche sind etwas, das die Menschen brauchen und schätzen. Doch wenn Narcisse im Juni seinen letzten Arbeitstag hat, wird sich die Pfarrei St. Niklaus sicher überlegen müssen, ob und wie sie in Zukunft das liturgische Angebot in beiden Dörfern aufrechterhält. Wenn der Gottesdienst mehr «Staff» zählt als Kirchenbesuchende, darf man sich durchaus fragen, ob das noch Sinn macht. Es kann natürlich auch sein, dass wir z. B. durch Neuzuzüger plötzlich wieder Eintritte haben. Dafür müssen wir auch die Angebote für Familien, Kinder und Jugendliche erweitern und uns interessieren, was sie bewegt.

«Wenn der Gottesdienst mehr ‹Staff› zählt als Kirchenbesuchende, darf man sich durchaus fragen, ob das noch Sinn macht.»

Ist die Kirche das moralische Gewissen der Gesellschaft?

Die Kirche ist nicht nur die Institution, sondern jede und jeder in dieser Gemeinschaft macht die Kirche aus. Insofern ist die Kirche schon eine moralische Instanz. Der Papst ist der moralische Hüter der Weltkirche und vertritt über eine Milliarde Gläubige. Die Heilige Katholische Kirche ist theologisch betrachtet eine Gemeinschaft von Gläubigen, basierend auf der Botschaft Jesu Christi. Auf der anderen Seite ist sie eine Institution, die man mit einem Weltkonzern vergleichen kann. Die Strukturen sind ähnlich …

Ausser der Transparenz …

Das ist der grosse Knackpunkt. Doch was auch immer im Vatikan in Rom passiert, es sind alles nur Menschen. Ich kann den Charakter eines Kardinals nicht ändern.

Info

Anlässlich der Kirchgemeindeversammlung vom 7. Dezember 2023 sind zwei Mitglieder der Kirchenpflege zurückgetreten. Da im Vorfeld schon die Rücktritte der beiden anderen Kirchenpflege-Mitglieder bewilligt wurden, hatte die Kirchgemeinde per 1. Januar 2024 de jure ihre Handlungsfähigkeit verloren. Die Aufsichtsbehörden sind von Gesetzes wegen verpflichtet, einzugreifen, um die ordnungsgemässe Führungs- und Verwaltungstätigkeit wieder sicherzustellen. Vom Synodalrat – der Exekutive der Zürcher Katholikinnen und Katholiken – wurde darum auf Anfang Jahr Peter Brunner, ehemaliges Mitglied des Synodalrats, zum Sachverwalter ernannt. Er übernimmt seither sämtliche Rechte und Aufgaben der Kirchenpflege Hombrechtikon.

Hintergrund der Rücktritte soll ein Konflikt mit Pfarrer Narcisse Elenga gewesen sein. Dieser ist seit 23 Jahren Seelsorger in der Pfarrei St. Niklaus. Im Hinblick auf die im Jahr 2024 anstehende Wiederwahl eines Pfarrers beschäftigte sich die Kirchenpflege an ihrer Sitzung im Dezember auch vertieft mit der Frage, ob eine Wiederwahl mit Wahlempfehlung der Kirchenpflege und damit eine stille Wahl oder eine Wahl an der Urne angezeigt wäre. Die Kirchenpflege kam zum Schluss, dass aufgrund von Differenzen bezüglich Führung und Zusammenarbeit im dualen System eine uneingeschränkte Wahlempfehlung nicht möglich sei. Im Verlauf der Sitzung gab Pfarrer Narcisse Elenga dann bekannt, dass er nicht für eine Wiederwahl zur Verfügung stehe. Elenga wird die Pfarrei auf Ende der Amtsperiode im Juni 2024 verlassen.

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Martina Gradmann, Ährenpost