- Jeannette Gerber
Einen Vortrag hielt auch Martin Dreyfus, Experte für Exil- und Emigrationsliteratur. Es gibt nur noch wenige Zeitzeugen der barbarischen Naziverbrechen, umso wichtiger ist es, Erfahrungen und Erinnerungen in der Literatur zu bewahren.
Seit über 20 Jahren erinnern städtische und jüdische Institutionen in der Schweiz und in 30 europäischen Ländern am europäischen Tag der jüdischen Kultur unter dem Motto «Memory» jährlich mit vielseitigen Veranstaltungen an diese unmenschlichen Geschehnisse. Diese Zeitung war eingeladen, sich den Vortrag von Martin Dreyfus in der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich – kurz ICZ – zu diesem Thema anzuhören.
Martin Dreyfus gilt europaweit als einer der wichtigsten Experten für Exil- und Emigrationsliteratur. Er sprach anlässlich des 90. Jahrestages der Buchverbrennungen in Deutschland von 1933 über seine Sammlung von Büchern jüdischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.
Dem Verlust Ausdruck verleihen
Zu Anfang wies er darauf hin, dass sich drei Themenbereiche in der deutschsprachigen Exilliteratur vor allem erkennen liessen: zeitgeschichtliche Romane, historische Romane und Lyrik. «Dabei fallen zwei Gattungen auf, die die Schriftsteller, allen voran Dichter und Lyriker, beschäftigten und denen sie in Gedichten – weniger in Prosatexten – Ausdruck verliehen haben: dem Verlust der «heimatlichen» Sprache einerseits und der oft «verwehten» jüdischen Herkunft andererseits. Darauf werde ich im Vortrag mit zahlreichen Zitaten eingehen», erklärte er.
«Gedichte können vollständig rezitiert werden, im Gegensatz zu Romanen, woraus nur Fragmente gelesen würden. Deshalb habe ich eine grössere Anzahl von Gedichten gewählt», schloss Dreyfus. Tatsächlich eine grosse Dichte von insgesamt 29 Autorinnen und Autoren, aus deren Werken er während der nächsten Stunde vorlas. Traurige, bewegende, erklärende, symbolträchtige, philosophische, aber auch hoffnungsvolle Gedichte von Menschen, denen die Tragödie der Nazizeit widerfuhr.
Eines davon war das Gedicht «Das Volk der tausendjährigen Zuversicht» des österreichisch-US-amerikanischen Lyrikers Ernst Waldinger. Darin heisst es unter anderem: «Und Lahmheit schlug mich, Armut und Exil, und wie im Mächtespiel der Würfel fiel, fast immer stand ich, wo ich mitverlor – Doch flüstert eine Stimme mir ins Ohr: ‹Kannst du denn nicht die Zuversicht bewahren? Dein Volk hat sie seit dreimal tausend Jahren.›»