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27.08.2023

Stillstand am Kohlendreieck

Diese Aufnahme von 2020 zeigt, wie marode die «Junggesellenheime» an der Brauerstrasse sind. Bild: Baugeschichtliches Archiv, Maurice K. Grünig
In der Nähe des Zürcher Kohlendreiecks stehen vier marode, unansehnliche Wohnhäuser. Das Areal gehört den SBB. Für die Bahn taugen sie nichts, doch warum werden sie nicht ersetzt?

Tobias Hoffmann

Kreis 4, Quartier Langstrasse. Ganz an dessen Rand, an der Brauerstrasse 118–124, ­stehen vier dreistöckige Häuser schlichtester Bauweise, die sich – zumindest von aussen betrachtet – in lamentablem Zustand befinden. Besonders gut kann sie erkennen, wer als Pendler die Seebahn­linie benutzt. Von der Enge her kommend, sieht man sie vor der Einfahrt ins Kohlendreieck rechter Hand.

Mancher dürfte sich seit langem fragen: Wer um Gottes willen wohnt in diesen Bruchbuden? Und warum reisst man sie nicht ab, um mehr dringend benötigten neuen Wohnraum zu schaffen? Angesichts der in manchen Teilen der Stadt herrschenden Bauwut, die auch immer wieder neue Gebiete erfasst, fällt ein solch verwahrlostes Areal besonders auf. Grund genug abzuklären, warum sich an diesem Ort einfach nichts tut.

Aber nicht denkmalgeschützt?!

Die erste Fährte führt zum Denkmalschutz. Ein Blick in eine im Netz ver­fügbare Broschüre lässt vermuten, dass die als «Junggesellenheime» bezeichneten Gebäude denkmalgeschützt sind. Eine Anfrage bei Anatole Fleck vom Amt für Städtebau soll Aufklärung bringen. Fleck präzisiert, die Gebäude seien im Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte von kommunaler Bedeutung der Stadt Zürich aufgeführt; 2020 habe man sie «anlässlich einer umfassenden Inventarergänzung von SBB-Objekten auf Stadtgebiet» ins Inventar aufgenommen. Sie sind also nur «potenziell» schutzwürdig.

Fleck erläutert weiter: «Eine Unterschutzstellung oder eine Entlassung aus dem ­Inventar beschliesst der Stadtrat erst im Zusammenhang mit einem grösseren Bauvorhaben oder bei einem geplanten Abbruch.» Und in dieser Hinsicht ist ganz offensichtlich nichts geplant. Es sei denn, die SBB als Besitzerin des Grundstücks hätten etwas vor, meint Fleck.

Ein Trassee quer durchs Grundstück

Die Anfrage bei den SBB bringt eine überraschende Wende. Daniele Pallecchi antwortet kurz und bündig: «Die vier Gebäude inklusive zugehöriger Grünfläche sind vermietet. Die Flächen sind mit einer Baulinie der Stadt Zürich belegt für das Tram 1, weshalb die SBB keine Investitionen tätigen.»

Und in der Tat: In einer vor ziemlich genau zehn Jahren erschienenen VBZ-­Netz­entwicklungsstudie wurde diese Linie unter «langfristige Massnahmen» erwähnt. Sie würde die jetzige Buslinie 31 ersetzen. Zwei Trasseeabschnitte wären dann neu zu bauen. Jener, der uns hier interessiert, würde von der Sihlpost über die Lagerstrasse und die Neufrankengasse führen und vor der Einmündung in das bestehende Trassee an der Hohlstrasse das Areal der «Junggesellenheime» durchqueren.

Eine versenkte Tramlinie

Das Projekt gab damals einiges zu diskutieren, da es den Abriss etlicher Gebäude nötig machen würde. Heute scheint die Tramlinie 1 in weiter Ferne. 2017, nach zwei Motionen, hatte der Gemeinderat auf Antrag des Stadtrats entschieden, auf die Planung zu verzichten. Der «Tages-Anzeiger» titelte damals: «Das Tram 1 ist auf Jahre hinaus versenkt». Ob daraus vielleicht sogar Jahrzehnte werden?

Wie Oliver Ober­gfell von den VBZ erläutert, ist eine Netzentwicklungsstrategie 2040 in Arbeit, die vermutlich Anfang 2024 vorgelegt wird. Dann werden konkretere Aus­sagen zu einer «Renaissance» der Linie 1 möglich sein. Auf jeden Fall ist die Strecke im regionalen Richtplan der Stadt Zürich festgesetzt.

Was bedeutet: Die Bruchbuden bleiben vorderhand stehen. Und Alt­stetten bleibt ÖV-mässig unterversorgt. Wenn man sich ansieht, was in den letzten Jahren zwischen Hardplatz und Europabrücke an Hochhäusern hochgezogen wurde und weiterhin wird, mag man sich fragen, ob die Realität der Stadtentwicklung die Tramlinie 1 nicht schneller als erwartet wieder aus der Versenkung holt.

Tobias Hoffmann / Goldküste24