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24.07.2023

Die Kugel muss zum Schweinchen

Der MFO-Park mit seinem kühnen Kletterpflanzengerüst ist sicher einer der spektakuläreren Orte für eine Partie Pétanque. Bild: Pascal Turin
Ein Männerquartett aus der Lokal­info-­Redaktion hat erprobt, wie sichs anfühlt, die Pétanque-Entschleunigung nach südfranzösischer Art auf Zürcher Plätzen zu praktizieren.

Ein Volkssport wie in Südfrankreich ist Pétanque hierzulande beileibe nicht. Wobei das Pétanque-Volk auch in Frankreich schrumpft. Vielleicht, weil es ein ausgesprochener «Sport» für Bauern und Handwerker sein dürfte, für Menschen, die tagsüber harte Arbeit verrichten und abends buchstäblich eine ruhige Kugel schieben wollen, ohne einfach nur herumzusitzen. Und es ist ein geselliges Spiel, das nach der oft einsamen Arbeit auf dem Feld und in der Werkstatt aus­giebig Raum zum Plaudern – und zum gemeinsamen Schweigen – bietet.

Die «Jagd» auf das Schweinchen

Konzentration ist in der Pétanque alles: ein sicheres Auge, eine ruhige Hand. Kraft braucht es kaum, denn die Kugeln aus Inox-Stahl haben einen Hohlraum und wiegen nur etwa 700 Gramm. Ein kleines Kügelchen aus Holz, Cochonnet (Schweinchen) genannt, stellt das Ziel dar. Der beginnende Spieler wirft es aus und schickt gleich seine erste Kugel hinterher; dabei versucht er, möglichst nah ans Cochonnet zu kommen. Dann folgt der Gegner. Gespielt wird mit einem Set von drei Kugeln. Man kann auch Teams bilden, wobei zwei gegen zwei oder drei gegen drei – dann nur mit je zwei Kugeln – antreten. Die schlechtere Partei muss so lange werfen, bis sie näher ans Kügelchen herangekommen ist. Am Schluss zählt jede Kugel, die näher beim Schweinchen liegt als die beste des Gegners. Wer zuerst 13 Punkte erzielt, hat gewonnen.

Der inklusivste Sport von allen

Bei der Pétanque gilt die Regel, dass man aus einem in den Kiesboden gescharrten Kreis von einem halben Meter Durchmesser heraus auf eine Distanz von 6 bis höchstens 10 Metern schiesst; Ausfallschritte sind nicht erlaubt. Das macht es zu einem sehr inklusiven Spiel für Jung und Alt, für Fitte und Eingeschränkte, und obendrein braucht es wenig Platz, der Kiesvorplatz eines Hauses genügt.

Aber mit Vorplätzen hat sich unser Redaktionsteam nicht zufriedengegeben, als es sich anschickte, Zürich einem Pétanque-Test zu unterziehen. Eine Vorgabe war es, die bekannten Hotspots der Stadt wie den Lindenhof, die Josefswiese und den Idaplatz schnöde zu ignorieren und sich auf die Suche nach unbekannten Terrains in den Quartieren zu machen. Der Test fand an einem nicht sehr heissen Sommerabend Ende Juni statt.

Wir haben vier Plätze in allen Stadtteilen besucht, und zwar im Uhrzeigersinn: Start war in der Parkoase in der Enge, es folgten zwei ehemalige Industriegebiete im Kreis 5 (Turbinenplatz) und Oerlikon (MFO-Park), bis sich der Bogen in der Vorstadtidylle Hottingens schloss. Fazit: Zürich wird als Pétanque-Schauplatz deutlich unternützt und unterschätzt.

Belvoirpark: Der stille Ort am See

Ist es das benachbarte chinesische Konsulat, ist es der akkurat gestaltete Park aus der Zeit der Gartenbauausstellung im Jahr 1959? Auf jeden Fall ist der Belvoirpark eine wohltuend ruhige Oase. Man erreicht ihn bequem mit dem 7er-Tram oder zu Fuss vom Mythenquai her. Die Kieswege sind fast nie stark frequentiert, und so kann man dem Pétanque-Spiel bestens frönen.

Wer ein Päuschen braucht, kann auf den Beton­quadern, welche die Wege einfassen, bequem sitzen. Von dort lassen sich auch die mehr oder weniger guten Würfe der Kollegen bestens ­kommentieren. Der Herr links im Bild, der sich gerade geistig auf seinen nächsten Wurf vorbereitet, ist Lorenz Steinmann, neben ihm Pascal Turin. (ls.)

Bild: Lorenz von Meiss

Turbinenplatz: Viel Raum im postindustriellen Westen

Zwischen umgenutzten Werkhallen und trendigen Gastrolokalen finden Freunde des Pétanque-Sports auch im dicht bebauten Escher-Wyss-Areal mehr als genug Platz, um ungestört einigen Runden Pétanque nachzugehen. Denn wo zur Mittagszeit viele Berufstätige von rundum ihren Zmittag auf einer der vielen Sitzgelegenheiten ­einnehmen, treffen die beiden Spieler auf dem Bild,Tobias Hoffmann (l.) und Pascal Turin, nur noch auf ­wenige Menschen, und der Platz wird höchstens noch von einem Gruppentraining aufgesucht.

Zürichs grösster Platz hat neben einem Bodenbelag aus Beton grosse Kiesflächen, die sich gut zum Spielen eignen. Nach vergnüglichen Spielrunden laden zahlreiche Restaurants und Bars zum Einkehren ein. (lvm.)

Bild: Lorenz von Meiss

MFO-Park: Die Oase im Norden

Dort, wo früher Werkzeuge und Turbinen hergestellt wurden, trifft man sich heute auf ein Feierabendbier. Der MFO-Park, benannt nach der Maschinenfabrik Oerlikon, entwickelt sich immer mehr zum Naturparadies und ist mit den üppig grünen Kletterpflanzen ein Highlight unter den Zürcher Parkanlagen. Auch für Pétanque ist der Ort geeignet, wie der schon beim Auspacken der Kugeln siegesgewiss lächelnde Lorenz von Meiss beweist.

Was aber eindeutig fehlt, ist ein lauschiges Gartenrestaurant. Immerhin können Durstige von März bis Oktober auf das Open-Air-Restaurant Zum Frischen Max beim Bahnhof Oerlikon ausweichen oder sich im nicht allzu weit entfernten Center Eleven eindecken. (pat.)

Bild: Pascal Turin

Merkurplatz: Idylle mit Hunden

Vom Kreuzplatz her ist man in wenigen Minuten hier, nachdem man das tagsüber von Kindern wimmelnde Artergut durchquert hat. Der rechteckige Kiesplatz, von Eiben gesäumt, von Kastanien und Linden angenehm beschattet und mit einigen Rasenflächen gesprenkelt, ist ein überaus angenehmer Ort, um Pétanque zu spielen – auch wenn man sich ein wenig wie ein Eindringling vorkommen mag.

Die Quartierhunde interessieren sich für die vorbildliche Wurfhaltung von Tobias Hoffmann mässig, wie man sieht, aber sie sind dafür auch viel zu entspannt, um die Spielenden zu stören. Nach dem Turnier bietet sich übrigens ein Drink im bekannten «Bohemia» am Kreuzplatz an. (toh.)

Bild: Lorenz von Meiss
Tobias Hoffmann, Pascal Turin, Lorenz Steinmann, Lorenz von Meiss / Goldküste24