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08.05.2023

Hitzeminderung nur bei Hälfte einbezogen

Ein Beispiel von vielen: Die Nürenbergstrasse im Kreis 10 wurde nach dem Fernwärmeinbau asphaltiert wie vorher. Das kritisieren Experten wie Silas Hobi. Bild: ls.
Warum geht es so langsam vorwärts mit den Hitzeminderungsmassnahmen, fragen Experten wie Silas Hobi von der Umweltorganisation umverkehr.

Gerade bei den Tiefbauarbeiten rund um den Ausbau der Fernwärme würde der Strassenraum nachher genau gleich aussehen. Die Stadt relativiert.

Hitzeminderung ist das grosse Thema in Zürich, seit die Temperaturen im Sommerhalbjahr auf Rekordhöhen klettern. Die Klimakrise wird auch in Zürich immer spürbarer. Dies zumindest die Meinung von Experten. Hitzesommer werden häufiger. Die Temperaturen liegen in der Stadt an heissen Sommertagen bis zu 10 Grad höher als im Umland.

Keine Messung, wo es am Heissesten ist

Dabei wird nicht einmal berücksichtigt, dass die offizielle Messstation von Meteo Schweiz in Fluntern auf einer Höhe von 556 Meter liegt, also gut 150 Meter Höher als der Zürichsee und die besonders heissen Quartiere 1, 3, 4 und 5. So liegen die Temperaturen in den Hitzemonaten in weiten Teilen der Stadt nochmals höher als offiziell vermeldet. Doch was dagegen tun? Einig sind sich eigentlich alle: Mit Grünflächen und insbesondere vielen Bäumen lässt sich die Stadt kühlen. «Die Stadt Zürich muss bezüglich Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel endlich vorwärts machen», verlangt etwa Stefan Bruderer, SP-10-Mitglied und von Beruf Lokomotivführer.

Die Stadtklima-Initiativen

Schon lange für eine Stadt mit mehr Grünflächen plädieren auch Gemeinderat Markus Knauss (Grüne) und Silas Hobi von der Umweltorganisation umverkehR. Sie stehen ebenfalls hinter den Stadtklima-Initiativen, über die wohl 2024 abgestimmt wird. Nachdem der Stadtrat einen abgeschwächten Gegenvorschlag präsentiert hat, folgt bald die Diskussion im Gemeinderat. Parallel dazu läuft momentan eines der grössten Bauprojekte in der Geschichte Zürichs, das durchaus Auswirkungen auf die Hitzeminderung hat – oder zumindest haben könnte. Bis 2040 sollen gut die Hälfte der Stadtzürcher Haushalte ans Fernwärmenetz angeschlossen werden. Die Gesamtkosten betragen gegen eine Milliarde Franken, dafür fallen viele umweltschädliche Öl- und Gasheizungen weg. Für den Einbau der Fernwärmeleitungen werden kilometerweise Strassen und Trottoirs aufgerissen – und meist wieder gleich asphaltiert wie vorher. Dies zumindest die Beobachtung und Kritik von Silas Hobi.

Dieses Portal hat nachgefragt, bei Evelyne Richiger, Kommunikationsleiterin beim federführenden Tiefbauamt der Stadt Zürich.

Die Stadt baut das Fernwärmenetz aus. Dazu gehört das Verlegen der vielen Wärmeleitungen. Wie wird die Hitzeminderung bei Strassen- und Trottoirs nach den Tiefbauarbeiten integriert?

Wenn möglich geschieht der Ausbau des Fernwärmenetzes koordiniert mit anderen Baubedürfnissen wie Erneuerung von Wasserleitungen, Kanalisation, Stromleitungen, öffentliche Beleuchtung sowie der Strassenbeläge. Wo möglich und sinnvoll, gestalten wir auch die Oberfläche neu mit mehr Bäumen, grösseren Baumgruben, Entsiegelung und Verbesserungen für den Fuss- und Veloverkehr.

Warum ist davon so wenig sichtbar?

Oberflächenprojekte dauern aber in der Planung sehr viel länger als reine Werkleitungsbauten. Zudem durchlaufen sie die vorgeschriebenen Verfahren nach Strassengesetz mit der Möglichkeit für Einsprachen, die den Ausbau der Fernwärme stark verzögern könnten. Mit dem Ausbau der thermischen Netze bis 2040 hat sich die Stadt ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt. Deshalb sind Neugestaltungen der Oberfläche nicht immer gleichzeitig mit dem Fernwärmeausbau umsetzbar. Zudem werden die Fernwärmeleitungen vor allem im Fahrbahnbereich eingebaut. Viele Hitzeminderungsmassnahmen liegen üblicherweise ausserhalb der Fahrbahn.

Der Hitzeminderungsplan für Zürich spricht davon, Aufenthalts- und Bewegungsoberflächen zu entsiegeln und zu begrünen. Wie wird dieses Ziel beim Ausbau der Fernwärme einbezogen?

Massnahmen zur Hitzeminderung haben für das Tiefbauamt ein besonderes Gewicht: In allen Projekten mit Veränderungen an der Oberfläche wird geprüft, welche Massnahmen zugunsten der Hitzeminderung und für ein gutes Klima getroffen werden können. Weil die Entsiegelung von Flächen aber auch mit Nutzungseinschränkungen verbunden ist – z. B. Einschränkungen der Hindernisfreiheit für geh- oder sehbehinderte Personen oder die Entwicklung von Dreck bei Regen oder Staub bei Trockenheit –, wird situativ beurteilt, wo eine Entsiegelung möglich und verhältnismässig ist. Zudem haben entsiegelte Flächen alleine keinen Einfluss auf die Hitzeminderung. Die kühlende Wirkung entsteht durch die Verdunstung von Wasser. Dies setzt aber auch voraus, dass es Feuchtigkeit im entsiegelten Boden hat. Und dort liegt das Problem: Viele Substrate unter Zürichs Strassen haben keine gute Speicherfähigkeit. Die Förderung von hitzemindernden Elementen im öffentlichen Strassenraum von der Stadt Zürich erfolgt über die Planung, Projektierung und Umsetzung von koordinierten Strassenbauprojekten (Werkleitungen und Oberfläche zusammen), damit genug Platz und Substrat für die Bäume eingeplant wird, damit diese gedeihen und ihre hitzemindernde Wirkung entfalten können.

Verwendet werden sollen Materialien mit hohem Albedo, also hoher Helligkeit für Strassen- und Platzoberflächen. Ein Beispiel ist die Bederbrücke. Welche Beispiele gibt es in Zusammenhang mit dem Fernwärmeausbau?

In der Roggenstrasse testeten wir, wie sich unterschiedlich gefärbte Strassenbeläge auf die Temperatur auswirken. Die Roggenstrasse wurde ausgewählt, weil sie einen typischen Strassenabschnitt in der Stadt Zürich darstellt. An den meisten Zürcher Strassen gibt es Bäume und angrenzende Häuser, die Schatten spenden. Die Resultate zeigten, dass die hell gefärbten Beläge – im Gegensatz zu Beschattungen durch Bäume und Häuser – einen geringen Einfluss auf die Temperatur ausüben. Daher werden nur für sehr stark besonnte Orte wie Plätze oder Brücken helle Beläge als zusätzliche Massnahme geprüft und nicht im speziellen in Zusammenhang mit dem Fernwärmeausbau.

Was spricht noch gegen helle Beläge?

Sie haben im Strassenraum negative Aspekte, welche nicht ausser Acht gelassen werden dürfen: zum Beispiel Unfallrisiko durch schlechtere Griffigkeit, teilweise Erhöhung der Lärmemissionen, kürzere Dauerhaftigkeit, Blendwirkung, längere Transportwege des Belagsmaterials, fehlender Recyclingzyklus, energieintensive Aufbereitung. In der Fachwelt werden von vielen Projekten Anfangserfolge berichtet, über deren nachhaltige Klimawirkung ist noch wenig bekannt. Ebenso ist die Recyclingmöglichkeit von hellen Belägen noch nicht geklärt, und die nachhaltige Kreislaufwirtschaft gehört auch zu den städtischen Zielen.

 

«Die Resultate zeigten, dass die hell gefärbten Beläge – im Gegensatz zu Beschattungen durch Bäume und Häuser – einen geringen Einfluss auf die Temperatur ausüben. Daher werden nur für sehr stark besonnte Orte wie Plätze oder Brücken helle Beläge als zusätzliche Massnahme geprüft.»
Evelyne Richiger

Kritiker wie Markus Knauss von den Grünen oder Silas Hobi von umverkehR bemängeln, dass in den meisten Fällen die Strassen aufgerissen und genau gleich wieder hergerichtet werden, also mit schwarzem, undurchlässigem Belag. Was ist dran an dieser Kritik?

«in den meisten Fällen» stimmt nicht. Wie bereits oben geschrieben, versuchen wir den Ausbau der Fernwärme mit anderen Bedürfnissen wie der Hitzeminderung zu koordinieren. Bei der Hälfte aller Fernwärmebedürfnisse ist ein Oberflächenprojekt dabei mit Hitzeminderung, Veloinfrastruktur und Lärmmassnahmen. Bei den anderen Projekten besteht kein Oberflächenprojekt und der Belag muss wieder gleich hergerichtet werden. Oder es ist nicht möglich, im geforderten engen Zeitraum im Hinblick auf die Anschlussverträge der Energieversorgungsunternehmen ein Oberflächenprojekt zu erarbeiten und zur Ausführung zu bringen.

Ein Beispiel von vielen ist die Nürenbergstrasse. Dort wurde die Strassen nach den Tiefbauarbeiten zur Fernwärme genau gleich wieder hergerichtet. Lernt man daraus beim Fernwärmeausbau, etwa be der benachbarten Rothstrasse?

Wie bereits erwähnt, ist der Terminplan für den Ausbau der thermischen Netze sehr eng. In der Nürenbergstrasse wurde eine Quartierhaupterschliessungsleitung direkt aus dem Verbindungstunnel gebaut. Diese Haupterschliessungsleitung hat dringende Abhängigkeiten für den gesamten Energieverbund. Bei solchen Projekten kann nicht auf ein Oberflächenprojekt gewartet werden. Die Bauarbeiten in der Rothstrasse starteten im März. In diesem Bereich sind keine Hitzeminderungsmassnahmen geplant. Jedoch im nachfolgenden Projekt in der Rothstrasse im Bereich Seminar- bis Zeppelinstrasse sind ein Grünstreifen mit Versickerungsmulden sowie eine Baumreihe geplant. Der Start dieser Bauarbeiten ist voraussichtlich Frühling 2024.

Negativbeispiel Heimplatz

«Die Lebensqualität und die Gesundheit der Stadtbevölkerung sind durch die immer heisser werdenden Sommer gefährdet», schreiben der Fussgängerverein Zürich, der Verein Stadtgrün und der Verein Klimastadt Zürich in einer Mitteilung. Die kürzlich veröffentlichten Planauflagen zum Heimplatz und zur Alfred Escher-Strasse zeigten, dass die Stadt Zürich den dringenden Bedarf an Massnahmen zur Hitzeminderung noch nicht im vollen Umfang erkannt habe und die nötigen Konsequenzen scheut. Sie ignoriere damit ihr eigenes, behördenverbindliches Fachkonzept «Hitzeminderung». 

Baumfällungen am Sihlquai

Die drei Vereine fordern, dass  die im Planverfahren befindlichen Projekte entsprechend überarbeitet werden. Zudem wurden Einwendungen eingereicht. Kritisiert werden etwa die Baumfällungen für die  Baustelle am Sihlquai auf Höhe der Tramstation Bahnhof Nord. Das kürzlich publizierte Projekt Heimplatz zeigt laut den Kritikern, dass neue Vorgaben für mehr Baumpflanzungen in der Baumstatistik zwar besser berücksichtigt sind, man sich gleichzeitig aber nicht die nötigen Überlegungen zu einer wirklich wirksamen Hitzeminderung gemacht habe. 

Weniger Hartbeläge

Der Bericht zur Planungsauflage schwärme von einem «Place Jardin» und von «malerischem Solitärgehölze aus heimischer und fremdländischer Provenienz, die dem Platz eine gärtnerisch anmutende Atmosphäre schaffen. «Das aktuelle Projekt hat leider nichts mit einem gärtnerisch gestalteten Platz zu tun, denn da ist kein Garten. Die Flächen für die Baumscheiben sind minimal», erklärt Christian Thomas von Fussverkehr. Dem Ziel der Hitzeminderung müsse besser Rechnung getragen werden, denn die mächtige, fast fensterlose  Front des neuen Kunsthaus-Erweiterungsbaus erhalte nur drei kleine Bäume im Vorfeld als Bepflanzung. Gefordert wird zudem, auf den geplanten Hartbelag vor dem Kunsthaus zu verzichten. (red.)

Lorenz Steinmann / Goldküste24