Depressionen, Angst oder Traumata – die Liste, weshalb Menschen eine Psychotherapie in Anspruch nehmen, ist lang. Und die Liste, wie viele Menschen sich eine Therapie wünschen und keinen Platz finden, ist noch viel länger. Wie hoch die Dringlichkeit im Kanton Schaffhausen ist, zeigte sich bei den Recherchen des «Bocks» schnell. Zwei Betroffene, eine Psychologin, ein Psychiater und der Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Leiter Psychiatrische Dienste der Spitäler Schaffhausen sprechen darüber, wie der Mangel an Therapieplätzen sie belastet.
«Ich wurde immer wieder abgewiesen»
J.* ist 44 Jahre alt. Das erste Mal in Berührung mit der Thematik Psychotherapie kam sie vor vier Jahren. Ein damals erlittenes Burn-out löste bei ihr eine mittelschwere Depression aus. «Ich wurde notfallmässig beim Kriseninterventionszentrum der Breitenau vorstellig», berichtet sie. «Da ich auf Medikamente verzichten wollte, kam eine stationäre Behandlung für mich nicht in Frage.» Drei Monate lang musste sie warten, bevor sie in die Tagesklinik der Spitäler Schaffhausen aufgenommen wurde. «Mein Glück war, dass mein ehemaliger Arbeitgeber ein Employee Assistance Program anbot, wo ich wöchentlich telefonisch betreut wurde», so J. Bei ihrem späteren viereinhalb-monatigen Klinikaufenthalt startete sie ihre erste Psychotherapie. «Nach dem Klinikaustritt brauchte es viel, dass ich bei meiner Therapeutin bleiben durfte.» Daraus resultierte eine sehr unregelmässige Therapie, wozu eine sehr hohe Fluktuationsrate kam. «Niemand wechselt gerne den Psychotherapeuten», bedauert sie. Den letzten Such-Anlauf startete sie Ende 2022. Mindestens acht bis zehn Telefonate hatte sie getätigt. «Bestenfalls kam ich auf die Warteliste, meist wurde ich direkt vertröstet», berichtet J. «Ich hatte lange die Hoffnung, dass sich irgendwann jemand zurückmeldet. Aber ich habe bis heute niemanden mehr gefunden.» Sie entschied sich, auf ein Mental Coaching auszuweichen, wo sie sich gut aufgehoben fühlt. «Leider ist das Coaching nicht von der Krankenkasse anerkannt.»
Auf die Frage, was es bräuchte, um der Problematik entgegenzuwirken, sieht J. zwei Möglichkeiten: Entweder müsste es mehr Anlaufstellen geben oder zusätzliche Angebote in Form von Selbsthilfegruppen. «Wichtig ist zu merken, dass man nicht alleine ist.»
Hoher Kraftaufwand
H.* ist 26 Jahre alt und seit etwa einem Jahr in psychologischer Betreuung. Auch bei ihr wurde eine Depression diagnostiziert. «Zuerst war ich beim Psychiater und nach dem Klinikaufenthalt im Sommer bei einer Psychologin.» Bald darauf fiel ihre Therapeutin aus. «Dann hatte ich plötzlich niemanden mehr, weil es einfach keinen Ersatz gab», berichtet H. Auch sie war in der Breitenau im Kriseninterventionszentrum. «Dort wurde ich abgewimmelt und erhielt eine Liste mit den Namen von Psychiaterinnen und Psychiatern in Schaffhausen», so H. «Diese begann ich durchzutelefonieren.» Mindestens zehn Anrufe habe sie getätigt, überall die Antwort: In den nächsten ein bis zwei Monaten ist nichts mehr möglich. «Wenn man sowieso keine Kraft hat und dann noch abgewiesen wird, hat man schlussendlich noch weniger Lust, nochmal jemandem anzurufen.» Sie würde sich wünschen, dass auf einer Webseite ersichtlich ist, ob eine Therapeutin oder ein Therapeut noch freie Kapazität hat. «Absagen sind für mich sehr schwer zu verkraften.»
H. ist nun in einer psychologischen Beratung untergekommen. «Mein Glück ist, dass die Therapeutin auch diplomierte Psychologin ist. Ich fühle mich bei ihr sehr gut aufgehoben.» Was auch sie bedauert: Dass ihre Krankenkasse bei der psychologischen Beratung im Gegensatz zur Psychotherapie nur 1000 Franken pro Jahr übernimmt. «Ich weiss nicht, ob ich es mir so leisten kann, meine Krankheit langfristig zu behandeln.» Dazu komme der enorme bürokratische Aufwand mit der Krankenkasse. «Man muss sich beispielsweise um jede Überweisung über den Hausarzt selbst kümmern. Das ist eine grosse Hürde, die einen schnell hemmen kann.»