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Gesundheit
01.02.2023

Die Kehrseite der ambulanten Medizin

Dr. med. Tobias Burkhardt, neuer Präsident der AGZ. Bild: zVg
Seit dem 1. Januar 2023 präsidiert der 51-jährige Hausarzt Tobias Burkhardt die Ärztegesellschaft des Kantons Zürich (AGZ), als Nachfolger von Josef Widler. zuerich24.ch hat den «Alten» und den «Neuen» nach den Zielsetzungen der AGZ und nach deren zukünftigen Herausforderungen befragt.

Herr Widler, Sie sind in der Zeit der Corona-Pandemie als Promotor der Hausarzt-Impfungen bekannt geworden. Welche anderen Themen haben Sie in Ihren acht Amtsjahren umgetrieben?

Ein wichtiges Projekt war die Neuorganisation des ärztlichen Notfalldienstes im Kanton Zürich. Bei meinem Amtsantritt waren im Kanton Zürich 26 verschiedene Notfallnummern in Betrieb, und 28 politische Gemeinden verfügten über keine Nummer. Dank der Arbeit der AGZ wurde die gesetzliche Grundlage geschaffen, dass das Aerztefon seit dem 1. Januar 2018 für alle im Kanton jederzeit gebührenfrei die passende medizinische Versorgung vermitteln kann. Im ganzen Kanton stehen 18 Praxen jeden Tag bereit, die an die Patienten vermittelt werden können. Dank dem Know-how der AGZ und des Aerztefons konnten die Bevölkerung und die Ärzteschaft während der Pandemie tatkräftig unterstützt werden.

Herr Burkhardt, die Ärzteschaft ist eine sehr heterogene Berufsgruppe. Ich habe den Eindruck, dass die angestellten Ärzte in der AGZ eine weniger grosse Rolle spielen und auch weniger gut vertreten sind als die selbstständigen Ärzte. Woran liegt das? Und was gedenken Sie dagegen zu unternehmen?

Es ist richtig, dass vor allem in den ambulanten Instituten, in denen im Kanton Zürich mehr als 2000 angestellte Ärzte arbeiten, viele Ärzte noch nicht bei uns Mitglied sind. Ein Teil von ihnen hat vorher in Spitälern gearbeitet, wo ihre Interessen durch den Spitalärzteverband VSAO vertreten wurden. Sie wissen oft nicht, dass die AGZ der Berufsverband aller ambulanten Ärzte ist. Andere wiederum sehen nicht, dass wir uns nicht nur für die Anliegen ihrer Arbeitgeber, sondern auch für ihre eigenen Anliegen einsetzen, beispielsweise mit dem Einsatz gegen einen Zulassungsstopp oder für eine faire Tarifierung ihrer Leistungen. Wir sind uns dieser Tatsache bewusst und planen in den nächsten Monaten eine «Charme­offensive», um diese Gruppe für uns zu ­gewinnen.

Herr Widler, Sie sind seit 2014 Kantonsrat und kandidieren erneut. Sie setzen sich, wenn ich das richtig sehe, für die praktizierenden Ärzte ein und nehmen gegenüber der «Spitallobby» manchmal eine kritische Haltung ein. Müssten Sie als Politiker nicht vor allem etwas gegen die Verteilungskämpfe innerhalb des ­Gesundheitssystems unternehmen?

Es sind nicht die Verteilungskämpfe, die mich beschäftigen, sondern die Sorge um die Gesundheitsversorgung in unserem Kanton. Die Arbeitsbedingungen haben sich in den letzten Jahren derart verändert, dass junge Kolleginnen lieber in den Spitälern arbeiten und darauf verzichten, ihren Beruf in einer freien Praxis auszuüben. Die Politik müsste sich darüber ­Gedanken machen, wie mit dem knappen Gesundheitspersonal die Grundversorgung sichergestellt werden kann. Zwar werden die Löhne und die Arbeitszeiten des Pflegepersonals angepasst, aber die Arbeitslast steigt weiter an, bis die Aus­bildungsoffensive Wirkung zeigt. Die Arbeitslast muss sofort durch eine markante Reduktion der administrativen Arbeiten und eine Anpassung der Leistungsaufträge vermindert werden, damit nicht noch mehr Pflegende aus dem Beruf aussteigen oder ihr Arbeitspensum aus gesundheitlichen Gründen reduzieren. Die Regierung wird wohl oder übel die Leistungsaufträge an die Spitäler anpassen müssen. Ein Problem wird dabei sein, dass Aufträge in der Grundversorgung finanziell weniger attraktiv sind als Aufträge in spezialisierten Fächern. Der finanzielle Druck auf die Spitäler muss verringert werden.

Herr Burkhardt, die steigenden Gesundheitskosten stellen eine starke Belastung für die Gesellschaft dar. Welche Akzente wollen Sie in Zukunft bei der AGZ setzen, um allseits akzeptable Kostendämpfungsmassnahmen zu unterstützen?

Das Hauptproblem sind nicht die steigenden Gesundheitskosten, denn das Pro-Kopf-Wachstum der gesamten Gesundheitskosten geht kontinuierlich zurück. Es wurden sogar schon mehr Kosten eingespart, als es vom Bundesrat vorgegeben war. Das Problem sind die steigenden Prämien, weil immer mehr Leistungen ambulant statt stationär erbracht bzw. von den Spitälern in den ambulanten Bereich verlagert werden. Dadurch steigt der über die Krankenkassenprämien zu finanzierende Anteil der Gesundheitskosten, und das stellt vor allem für den Mittelstand eine finanzielle Belastung dar. Wir als AGZ unterstützen daher die EFAS, die einheitliche Finanzierung von Ambulant und Stationär, die zurzeit im nationalen Parlament diskutiert wird. Damit werden die Kantone verpflichtet, sich auch an den ambulanten Leistungen zu beteiligen. Das ist dringend nötig und führt auto­matisch zu einer Reduktion der Prämienlast.

Zuletzt noch eine Frage an Sie beide: Die Arztberufe sind längst nicht alle gleich attraktiv und lukrativ. Bestimmte Spezialisten verdienen zum Teil frappant mehr. Was wollen Sie unternehmen, damit zum Beispiel Kinder- und Hausärzte in Zukunft wieder bessergestellt sind?

Genau das wollen wir mit dem von uns mit der Mehrheit der Krankenkassen ­ausverhandelten neuen ambulanten Arzt­tarif Tardoc erreichen. Denn der ­Tardoc verbessert die Tarifsituation der Haus- und Kinderärzte, unter Gewährleistung einer Kostenneutralität, das heisst, ohne dass das Gesamtvolumen der abgerechneten Leistungen steigt. Ganz wichtig ist daher, dass der Bundesrat endlich den neuen Arzttarif Tardoc bewilligt.

 

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Dr. med. Josef Widler, ehemaliger Präsident der AGZ. Bild: zVg

Ärztegesellschaft des Kantons Zürich (AGZ)

Die AGZ, 1810 gegründet, versteht sich laut Statuten als «selbstständiger Berufsverband der diplomierten Ärzte, die im Kanton Zürich niedergelassen und/oder berufstätig sind», als «Verband der anerkannten ärztlichen Fachgesellschaften und ärztlichen Berufsverbände im Kanton Zürich» sowie als «Vertreterin der Zürcher Ärzteschaft gegenüber der Bevölkerung, den Behörden und den anderen Institutionen». Sie hat einen 9-köpfigen Vorstand. Das General­sekretariat befindet sich an der Nordstrasse 15 im Kreis 6. Die AGZ zählt 6313 Mitglieder, davon 4672 aktive Ärzte (Stand 31.12.2021).

Tobias Hoffmann / Goldküste24