Lorenz von Meiss
Für die Herausgeber war es an der Zeit, dem Selbstbild des Zürcher Fussballklubs, trotz oder gerade wegen Zeiten der Erfolglosigkeit, neue Stärke zu verleihen.
Es scheint fast so, als hätte der langjährige GC-Sportler, Klubpräsident und Teamarzt Thomas Preiss das Erscheinen des Buches noch abgewartet, bevor er diese Welt kurz vor Weihnachten mit 98 Jahren verlassen hat. Im Buch werden ihm mehrere Seiten gewidmet samt einer Fotografie, die ihn im schlammgetränkten Trikot zwischen den Torpfosten zeigt.
Doch die beiden handlichen, reich illustrierten Bände – Ende 2022 im Sachbuchverlag NZZ Libro erschienen – sind mehr als nur ein Buch über die Fussballsektion des Grasshopper-Club Zürich. Der erste Band ist eine Sammlung von Essays, Fundstücken und detailliert aufgeführten Statistiken. Kurvenfans, Vorstandsmitglieder und Mäzene finden darin Platz, ihren persönlichen Bezug zum Rekordmeister zu schildern.
Der zweite Band beinhaltet ein über 600-seitiges Lexikon mit Biografien unzähliger GC-Spieler und -Persönlichkeiten sowie Themen von «A» wie Abschied vom Hardturm bis «Z» wie Zweitklassigkeit. Zusammen sind so in rund drei Jahren 1136 Seiten entstanden, die sich mit den Hochs und Tiefs des Fussballklubs befassen. Just in der Zeit, als die erste GC-Mannschaft abgestiegen ist.
Klubgeschichte hochhalten
Kein rundes Jubiläum, keine Siegesserie, kein aktueller Meistertitel ist der Grund für die Erscheinung der Bände. Die drei Herausgeber und überzeugten Hopper-Fans Reto Baumann, Werner Bosshard und Silvan Keller entschieden sich im März 2019 aus einer spontanen Idee heraus, ein Buch über die Grasshoppers zu veröffentlichen: «Man müsste halt doch die Klubgeschichte schreiben. Das gäbe ein Schwelgen», schrieb Werner Bosshart damals in einer Whatsapp-Nachricht an Reto Baumann. Bald darauf antwortete dieser: «Ja, Klubgeschichte schreiben, das habe ich mir auch schon gedacht. Lust und Zeit?»
Und so kam der Stein dieses Projekts ins Rollen. Denn die Herausgeber waren sich einig, dass die 136-jährige Klubgeschichte, nach all den Jahren der Erfolglosigkeit, in Vergessenheit zu geraten droht. Doch die drei hatten nicht das Ziel einer chronologisch erzählten Vereinsgeschichte, sondern wollten ein Lesebuch schaffen, das auch Platz für leichte Texte bietet. Auch in schlechten Zeiten für ihren Klub da sein und die Klubgeschichte hochzuhalten, trotz allem, das war es, was die drei angetrieben hat, das Buchprojekt zu realisieren.
Sprösslinge aus reichen Familien
Um die Vereinsgeschichte in Buchform wiederzugeben, muss natürlich weit ausgeholt werden. Bis zurück in die Gründerzeit 1886. Zu ihrem ersten Spiel im Oktober jenes Jahres traten die Hoppers in blau-weiss gestreiften Trikots samt Zipfelmützen gegen den Polytechniker Football Club auf dem Sihlhölzli an, das damals noch kein Sportplatz, sondern eine Parkanlage war. Das Spiel endete torlos.
Das britische Exportprodukt Fussball war zu dieser Zeit in der Schweiz kaum bekannt. Nach Überlieferungen einiger der ersten Klubmitglieder nahm die Klubgeschichte ihren Anfang, als der Engländer Thomas Edward Griffith im Jahr 1886 aus seinem Fenster an der Gerechtigkeitsgasse herausschaute und sich mit Fritz Pfister, der ebenfalls als GC-Gründer gilt, über den Fussballsport unterhielt. Aus diesem Gespräch heraus entstand die Idee, einen Fussballclub zu etablieren. Ob sich dies tatsächlich so zugetragen hat, kann jedoch nicht eindeutig belegt werden. Sicher ist jedoch, dass die Gründungsversammlung im August des gleichen Jahres im längst nicht mehr existierenden Café Stäubli an der Flössergasse in Zürich abgehalten wurde.
Ein grosses Kapitel im Essayband widmet sich unter dem Titel «Heimat Stadion» dem Umstand, dass die Hoppers seit 16 Jahren kein eigenes Stadion mehr haben und sich zusammen mit dem Stadtrivalen das Letzigrund-Stadion teilen. 78 Jahre lang war der Hardturm Heimstadion des Schweizer Rekordmeisters gewesen. Bei der Eröffnung im April 1929 bot es Platz für 27 500 Zuschauer.
Damals bezeichnete die «Neue Zürcher Zeitung» das Stadion als «grosszügige, monumental wirkende Anlage, die nach modernsten Richtlinien erstellt und mit der Zürich von einem Tag auf den anderen reicher geworden ist ...» Über die beiden Brände, die die Haupttribüne 1934 und 1968 heimgesucht haben, liefert der erste Band ausführliches Bildmaterial. Auf den Bildern ist Walter Schoeller, Übervater der GC-Klubgeschichte, wie er im Lexikon-band genannt wird, zu sehen, wie er einen Tag nach dem Brand von 1968 über das Stadionareal läuft und sich ein Bild der Verwüstung macht. Das letzte Spiel der Grasshoppers im Hardturm fand am ersten September 2007 gegen Neuchâtel-Xamax statt. GC unterlag den Gästen damals mit 1:2. Nach dem Schlusspfiff stürmten GC-Fans aufs Spielfeld, um sich ein Stück Rasen herauszuschneiden und als Souvenir mit nach Hause zu nehmen.
Die kickenden Damen
Ein Novum ist, wie die Herausgeber die Geschichte des Frauenfussballs gleichberechtigt mit demjenigen der Männer behandeln. 1970 wurde in Bern die Schweizerische Damenfussball-Liga gegründet, doch es dauerte noch bis 2002, bis der Schweizerische Fussballverband die erste bezahlte Stelle im Frauenfussball schuf.
Der Essayband erläutert auf verständliche Weise, wieso die Wurzeln der GC-Frauen in Schwerzenbach liegen. Denn als erster Super-League-Verein setzte GC 2008 auf die Förderung der Fussball-Frauen, indem er mit dem FFC United Schwerzenbach kooperierte. In der darauffolgenden Saison lautet der offizielle Name des Teams GC/Schwerzenbach. Ein Jahr später war der Frauenfussball hochoffiziell in den Grasshopper-Club integriert.
Mittlerweile zählt der GC-Frauenfussball rund 100 Frauen und Mädchen, die in fünf verschiedenen Teams antreten. Mit der Verpflichtung der Rekordnationalspielerin Lara Dickenmann zur General Managerin gab es im Jahr 2021 im GC-Frauenfussball eine Neuausrichtung. Seither hält die 37-Jährige bei den GC-Frauen die Fäden in Händen. Im Lexikonband wird ihr und den Biografien von 80 weiteren Spielerinnen breiter Raum eingeräumt.
Die beiden entstandenen Buchbände liefern einen wertvollen Beitrag, die Ursprünge und den Geist, der hinter dem Grasshopper-Club Zürich steckt, ihre weitgreifende Verwurzelung in der Stadt nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Denn mit 27 Meistertiteln, 19 Cupsiegen und einer 136-jährigen Geschichte sind die Grasshoppers immer noch unangefochtene Spitze im Schweizer Profifussball. Dank der übersichtlich aufgeführten Statistiken im hinteren Teil des Essay-Bandes lassen sich sämtliche Rangierungen bis 1897 zurückverfolgen, und die im Essayband zwischen den Kapiteln eingefügten Beiträge der dem Club nahestehenden Persönlichkeiten lockern das Werk auf und machen Lust weiterzulesen.