- Kolumne von Dr. Philipp Gut
Die ideologischen Fronten scheinen so klar wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, zumindest in der westlichen Hemisphäre. Für viele Beobachter und Politiker verteidigt die Ukraine im Donbass nicht einfach ihr Territorium und ihre Unabhängigkeit, sondern «die Demokratie» und die westlichen Werte.
Täubchen wurden über Nacht zu Falken
Gleichzeitig findet eine sensationelle Wende statt: Pazifistische Täubchen wurden über Nacht zu Falken. Nehmen wir nur die deutsche Bundesregierung um SPD-Kanzler Olaf Scholz. Sie prügelt verbal auf die Schweiz ein, weil sie als neutraler Staat keine Munition in das Kriegsgebiet liefert. Neutralitätsrechtlich nicht liefern darf.
Aus dem Lichterketten- und Ostermarsch-Deutschland der Nachkriegszeit ist eine Aufrüstungsmaschine geworden. Der Moraltrompeter von Säckingen bläst heute den militärischen Radetzkymarsch.
Verkürzen oder verlängern Panzer den Krieg?
In der Logik der Neo-Falken bringen die Waffen automatisch den Frieden. Exemplarisch für diesen Glauben steht dieser Titel der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom 5. Januar 2023: «Der Panzer, der den Krieg verkürzen könnte.»
Mag sein. Genauso plausibel wäre allerdings die gegenteilige Schlagzeile: «Der Panzer, der den Krieg verlängern könnte.»
Wunschdenken
Niemand spricht dem Opfer eines Angriffskriegs das Recht auf Selbstverteidigung ab. Der Überfall auf einen souveränen Staat ist ein völkerrechtliches Verbrechen, das geahndet werden muss.
Aber es zeugt von Wunschdenken, wenn jede neue Waffenlieferung an die ukrainische Kriegspartei reflexartig als Beitrag zur Beendigung des Gemetzels gepriesen wird, dem nicht nur junge Soldaten, sondern auch Zivilisten zum Opfer fallen.
Dieselbe Illusion spiegelt sich in den ständig sich wiederholenden Meldungen, die Russlands Riesenarmee als schwach und kurz vor dem Kollaps darstellen. Auch in dieser Frage könnte man sich täuschen, nicht zuletzt, weil das Putin-Regime bereit zu sein scheint, ohne Rücksicht auf Verluste alle Kräfte für diesen Krieg zu mobilisieren.
Ambitionslose Weltdiplomatie
Vielleicht ist es ja gerade umgekehrt: Je austarierter das Gleichgewicht des Schreckens wird, desto länger dauert der Krieg. Es könnte ein Abnützungskampf drohen, der irgendwann in einen eingefrorenen Konflikt mündet.
Jedenfalls erstaunt die Ambitionslosigkeit der europäischen und der Weltdiplomatie: Wo bleiben die klugen Ideen zu einer Verhandlungslösung? Denn ohne Verhandlungen gibt es keinen Frieden. Dass eine der beiden Parteien kapituliert, scheint bis heute unwahrscheinlich.