Die Schweizer Gemüsebetriebe sind bisher relativ gut durchs Jahr gekommen, aber der Ausblick für die nächsten Monate ist stark getrübt.
Die sieben mageren Jahre scheinen definitiv angebrochen zu sein. Nach der vermeintlich überstandenen Pandemie bleibt die Welt wegen dem Russland-Feldzug in der Ukraine weiterhin im Krisenmodus. Rohstoffknappheit, Lieferschwierigkeiten und drastisch gestiegene Energiepreise sorgen weiterhin für starke Turbulenzen.
Das führt in der europäischen Gemüsebranche zu Reaktionen, die man noch vor drei Jahren kaum für möglich gehalten hätte: Holländische Betriebe verschieben den Setzzeitpunkt bei Gewächshausgemüse um mehrere Wochen in den Frühling, weil die hohen Gas- und Strompreise die Produktion mit Heizen und das Belichten im Winter unrentabel machen.
In anderen Regionen in Europa werden Gewächshausabteile geschlossen und dafür das noch vorhandene Gas zu deutlich lukrativeren Preisen weiterverkauft. Deutsche Spargelanbauer brachten ihre Ware in diesem Jahr nicht mehr weg, weil die hohe Inflation die Haushaltsbudgets derart verkleinerte, dass die Konsumentinnen und Konsumenten einen Bogen um die teuren einheimischen Spargeln machten, respektive lieber auf günstigere Ware aus Peru auswichen.
In Grossbritannien verarmt der Mittelstand, der sich kaum noch Gemüse leisten kann und wenn, dann lieber zweitklassige Ware, deren Nachfrage deutlich zugenommen hat. Als «neues» Kaufkriterium gilt dort zudem, ob sich ein Gemüse für den rohen Verzehr eignet, weil man wegen der hohen Energiepreise möglichst ohne Kochtopf auskommen will.
Importe kaum günstiger als Schweizer Ware
Aber es ist nicht Putin allein, der das Durcheinander anrichtet: Die Trockenheit in weiten Gebieten Europas führte in diesem Jahr zu einer zusätzlichen Verknappung des Frischgemüse-Angebots und zu entsprechend hohen Preisen. Der dramatische Personalmangel in Ländern wie Grossbritannien befeuert die Abwärtstendenzen zusätzlich.
Und die deutschen Gemüsegärtner müssen seit diesem Herbst neu einen Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde bezahlen, was viele Betriebe vor grosse Probleme stellen dürfte. Wegen den Unsicherheiten bei den Produktionskosten sind auch die spanischen Gemüseproduzenten eher zurückhaltend unterwegs, die Verfügbarkeit von spanischen Blattsalaten in diesem Winter wird deshalb voraussichtlich um 15 Prozent geringer sein als im Vorjahr.
Aussergewöhnlich auch hier: Importgemüse war wegen der eingeschränkten Verfügbarkeit schon in diesem Jahr kaum günstiger in der Beschaffung als Ware aus der Schweiz. Denn auch im für die Schweiz wichtigen italienischen Markt beispielsweise wird weniger Gemüse angebaut – aus klimatischen Gründen und weil das Personal fehlt.
Billig-Linien wachsen
Auch für die Schweizer Gemüsebetriebe bleibt das wirtschaftliche Umfeld anspruchsvoll. Hohe Krankenkassenprämien und Energiekosten belasten viele Haushalte mittlerweile empfindlich. Und gemäss dem Dachverband Budgetberatung Schweiz sparen diese zuerst bei den Nahrungsmitteln (siehe Grafik).
An der Verkaufsfront zeigt sich das in der Zunahme der Umsätze in den Billig-Linien. Bei der Migros stiegen die Umsätze im M-Budget-Kanal um einen tiefen einstelligen Bereich. Der Grossverteiler spüre tatsächlich erstmals, dass Kundinnen und Kunden ihr Kaufverhalten ändern und statt zu Premiumprodukten zu günstigeren Artikeln greifen oder mehr Aktionsartikel einkaufen würden, schreibt Sprecher Martin Schlatter auf Anfrage.
Pol-Bildung
Auch Coop stelle eine erhöhte Nachfrage nach Prix-Garantie-Produkten im Tiefpreissegment fest, teilt das Unternehmen mit. Kaum spürbar ist der Kaufkraftverlust etwas überraschend bei Bioprodukten, im Gegensatz beispielsweise zu Deutschland, wo der Absatz im Biosegment deutlich sinkt. Sowohl Migros und Coop stellen weiterhin eine stabile Nachfrage in diesem Bereich fest. «Es scheint eine gewisse Pol-Bildung zu geben zwischen Personen, die den Gürtel enger schnallen müssen und anderen, welche die Teuerung offensichtlich weniger einschränkt», sagt der Migros-Sprecher.
Die Absatzzahlen von Gemüse in der Schweiz sind einigermassen stabil, weil die Inflationsrate im Vergleich zu den Nachbarländern tiefer liegt. In Deutschland stieg diese im September bei den Lebensmitteln auf 19 Prozent, in der Schweiz belief sie sich im selben Monat auf knapp 3 Prozent. Positiv für die Schweizer Lebensmittelbranche: Der Einkaufstourismus in grenznahen Gebieten verliert deshalb trotz tiefem Eurokurs deutlich an Attraktivität.
Höhere Kosten in der Produktion
Schon Anfang Jahr war klar, dass höhere Preise für Dünger, Gas, Treibstoff, Verpackungsmaterial oder Jungpflanzen zu höheren Gemüseproduktionskosten führen werden. Die Produktion forderte entsprechend von den Abnehmern höhere Preise, was diese gewährten, wenn auch nicht im gewünschten Ausmass.
Das zeigt eine nicht repräsentative Umfrage bei Produzenten in verschiedenen Regionen. Vor allem bei Gurken und Tomaten konnten die Zusatzkosten offenbar glaubhaft aufgezeigt werden. In der Westschweiz bezahlte der Grosshandel für eine Gurke zwischen 1.10 und teilweise bis zu 1.40 Franken.
Bei den Freilandgemüsen gab es in den Regionen und je nach Abnehmern – wie so oft – grosse Unterschiede. Das war auch den idealen äusseren Bedingungen geschuldet, welche bei vielen Gemüsen wie beispielsweise Frischsalaten, Zucchetti und nun Randen oder Karotten zu temporär grossen Erntemengen und entsprechenden Verwerfungen auf dem Markt führten.